Reise nach Halifax

Diese Reise hätte beinahe nicht stattgefunden. Um ein Haar hätte ich nämlich den Flughafen gar nicht erreicht. Um 4:30 ist es in Wien noch stockdunkel und ich sitze verschlafen in einem Taxi. Kurz vor dem Ziel nähert sich mein Fahrzeug verdächtig schnell dem Pannenstreifen und in weiterer Folge der Leitplanke. Geistesgegenwärtig rufe ich laut: „Hallloooooo!!! Schlafen Sie?“ Der Fahrer lenkt abrupt wieder in Richtung Mitte – „Äääh, nein, alles gut! Ich schlafe nicht.“ Ja, jetzt nimmer. Oida! Ich bin auch nicht ausgeschlafen, aber ich lenke kein Fahrzeug. Ich gebe mein Gepäck auf, lasse den security check über mich ergehen und erhole mich bei einem Kaffee und Croissant von meinem morgendlichen Schock. Wenigstens bin ich jetzt putzmunter.

Ich bin auf dem Weg zur Prince Edward Insel (PEI), ganz oben rechts auf der Kanadischen Landkarte. Es ist kurz nach Weihnachten und außer mir fährt wohl niemand mitten im Winter dort hin. Ist ja auch nicht gerade um’s Eck: ich brauche drei Flüge, eine fünfstündige Bus- und eine dreiviertel-stündige Autofahrt (die 30 Minuten Taxi zum Flughafen in Wien lasse ich mal außen vor). Ich werde dort eine Freundin besuchen. Ob das eine gute Idee ist – jetzt? Man wird sehen.

Der erste Flug nach Frankfurt ist keine große Sache, den riesigen Flughafen zu durchqueren und den Anschlußflug zu finden allerdings schon. Es ist zeitlich relativ eng (ich habe keine langen Lay-Over gebucht, weil das nervt), aber als ich an einer Wechselstube vorbeikomme, möchte ich mir unbedingt ein paar Kanada Dollars holen, denn in Wien waren kurzfristig keine aufzutreiben.
Just in case, falls das blöde Plastikgeld nicht funktioniert (das hatte ich ja schon mal in Schweden). „Ich möchte bitte 50.- Euro in CanD tauschen“. Die Dame am Schalter war gewieft: „Das ist eine schlechte Idee, jedesmal, wenn Sie wieder einwechseln, kostet das Gebühr, also tauschen Sie besser jetzt gleich mehr um!“ „Na gut, dann bitte 100.- Euro“; Replik: „Ja, ich muß auf eine vernünftige Summe in CanD kommen, wie lange bleiben Sie dort? Aha… tipp tipp.. rechnet, rechnet… okay, perfekt, ich habe Can D 150.- für Sie!“ Mein Hirn befindet sich im totalen Streßmodus, weil ich muß ja den Flug nach Montreal erreichen. Fazit: ich mache den schlechtesten Deal meines Lebens und bekomme für 140.- Euro ganze 150.- CanD. Verlust: min Eur 40.- Wenn man/frau sich in den Hintern beißen könnte – hier wäre es angebracht. Aber das checke ich erst viel später.

Pünktliche Landung in Montreal (auf französisch ohne „T“, sehr sexy!) nach einem angenehm ruhigen Flug und ich mache meinen ersten Spaziergang in der „Neuen Welt“. Der Flughafen ist hübsch und modern, ich komme an einem Lokal mit Kaminfeuer vorbei, sehr gemütlich! So stelle ich mir Kanada vor: Fireplaces und Holzfällerhemden (gibt es hier auch zu kaufen), Tonic Water und Gin on Ice. Ein paar Bären vielleicht… in der Ferne. Wie gerne würde ich mir die Stadt anschauen, doch ich muß gleich weiter. Noch ein Flug nach Halifax. Dort werde ich mich mal ausruhen und zwei Nächte bleiben, bevor ich weiter auf die Insel fahre. Beim Gate lasse ich mich erschöpft auf einer gemütlichen Couch nieder, die zu einem Lokal gehört. Füße hoch, herrlich – aber ich traue mich nichts zu bestellen, denn das Boarding beginnt in Kürze. Die Kellnerin gibt mir aber bald zu verstehen, dass das so nicht geht. Wenn der Chef kommt… und ich sitze da und habe nix zu trinken?! Sie bietet mir gratis ein Glas Eiswasser an der Bar an. Das ist nett. „Happy New Year!!“ Wie bitte ?! Es ist der 27. Dezember. Bei uns gibt es diesen freundlichen Wunsch erst nach Silvester.

In Halifax holt mich ein vorbestelltes Taxi ab und bringt mich zu meiner kleinen Frühstückspension. Es ist ein recht langer Weg, etwa 40 Minuten. Es ist immer noch hell. Ich bin schon stundenlang unterwegs und schon etwas müde, doch aufgeregt. Die Landschaft ist wunderschön, viele kleine Seen, Flüsse, Wälder, Felsen. Ich sauge alles in mir auf und als wir die Stadt erreichen, bin ich begeistert von der Architektur, die vielen einzelnen bunten Häuser mit ihren Veranden und verschnörkelten Holzverzierungen. Keine Weihnachtslichterorgien… oder? Doch. Viel mal mehr und manchmal weniger. Aber hübsch. Meine Pension ist schnuckelig, ein Gebäude im viktorianischen Stil mit steiler Stiege (gut dass ich einen schweren Koffer habe… grrr…). Das Interieur bietet viel für’s Auge, einen riesigen Weihnachtsbaum im Frühstückraum und viel Deko – irgendwo zwischen Kult und Kitsch schwankend. Die Betreiber sind Inder (oder so ähnlich?). Es gibt viele Farbige hier, fällt mir gleich mal auf. Und die Autos schauen komisch aus. Ich brauche ein klein bißchen, bis ich draufkomme, was es ist: sie haben alle vorne keine Nummerntafel. Und die Ampeln haben teilweise vier Lichter!! Da bin ich aber mal gespannt, was neben rot, gelb und grün wohl kommt…? Aha, ein Blinklicht (grüner Blinkkpfeil – schade, blau hätte sich angeboten).

Ich mache mich auf den Weg, um ein Lokal zu suchen, denn ich bin sehr hungrig. Um 17:30 dämmert es bereits. Die beste Zeit um essen zu gehen, denn meisten Lokale schließen nämlich um 19:00, wie ich kurz darauf erfahre. ? Andere Länder, andere Sitten. Naja, Glück gehabt. Ich bestelle Linguine mit Meeresfrüchten – gute Wahl! Ich bekomme die besten Jakobsmuscheln meines Lebens (scallops, mhhhh!!!) telefoniere mit meinem Mann zu Hause und bin sehr glücklich. Angekommen.

Unser erster Irland-Tag beginnt mit einem geführten Stadt-Spaziergang, wo wir Einiges über die Geschichte dieser Insel erfahren und staunen, wie viel wir nicht wussten –  z.B. über die ständigen Kolonialisierungsbemühungen der Briten, die leider ebenso erfolgreich (für die Engländer) wie blutig (hpts. für die Iren) waren. Mitte des 17 Jh. wurde der irische Adel enteignet und das Land unter Oliver Cromwells Gefolgschaft aufgeteilt. Es folgten endlose Bürgerkriege zwischen Katholiken und Protestanten – einer der Gründe für mehrere Massen-Auswanderungswellen, jahrelange Hungersnöte ein anderer: Mitte des 19 Jh. fiel die gesamte Kartoffelernte wegen eines Schädlings aus und die regierenden Briten rückten nichts von den guten Sachen raus, die sie auf ihrer eigenen Insel gehortet hatten.

Oder über die Irisch-Gälische Sprache. So wie der Katholizismus lange Zeit von den britischen Herren unterdrückt, wurde sie in jüngerer Vergangenheit erfolgreich wiederbelebt. Heute gibt es alle offiziellen Auf- und Inschriften sowie alle Durchsagen zuerst auf Gälisch, und dann erst in englischer Sprache. Die Schrift ist dekorativ und hält brav her für alles, was in Zusammenhang mit „Keltischer Kultur“ gebracht werden kann. Akustisch eignet sich diese seltsame Sprache hervorragend für Sätze, die man als Filmregisseur einem Klingonenvolk in den Mund legen würde. Das ist gar nicht böse gemeint. Es klingt für mich einfach völlig außerirdisch.

Und dann: „Oskar Wilde“. Diesen Namen haben wir alle schon mal gehört. Doch dass der äußerst sensible und feinsinnige Schriftsteller und Ästhet (DER Inbegriff eines Dandys) mehrere Jahre wegen „unsittlichen“ Verhaltens bei Zwangsarbeit in einem Gefängnis verbringen mußte (deren Folgen ihn letztendlich umbrachten) war mir neu. Homosexualität war also auch etwas, das in diesem Land lange Zeit unterdrückt und bestraft wurde. Durchaus ein weiterer Auswanderungsgrund für Manche. In unserer Herberge recherchieren wir anschließend im internet und vertiefen unser Wissen über diverse Irland-Themen. Dieser Stadt-Spaziergang hat viele Fragen aufgeworfen. Wir finden das gut und äußerst interessant.

Nachdem wir uns also ein bisschen „irisch eingegroovt“ haben (inklusive mehrerer Pub-Besuche natürlich) planen wir für den nächsten Tag einen Ausflug zu den „Cliffs of Moher“. Ein absolutes Must See! Empfehlung von Freunden und überhaupt allen. Eine Touristentour im Bus bietet sich an. „Ja, warum nicht?“, denken wir. „Um 50 € pro Person einen ganzen Tag lang herumgeführt werden und Interessantes sehen und erfahren“, denken wir, „in eine original irische Landschaft mit viel Grün (plus Schafe), Grau (Stein, Karst, Klippen, Ruinen) und Blau (Meer)! Und mit Mittagessen! Toll!“, denken wir. Großer Fehler.

Wir sind brav früh auf und stapfen zum vereinbarten Treffpunkt. Als wir hinkommen, ist der Bus bereits knallvoll. Erstaunlich, dass auch jetzt, Ende Oktober noch so viele Gäste da sind. Wir verstauen uns, ich halte mich an meinem Cappuccino fest und schon geht es los. Unser Busfahrer stellt sich als John B. vor und schafft es wirklich, die nächsten 45 Minuten durchgehend zu quasseln, ohne kaum einmal Luft zu holen. Ich kriege die Krise – geht das heute den ganzen Tag lang so? Bis 17:30 Uhr ist es noch weit hin… Es ist ja nicht uninteressant, was der Typ sagt, aber er wiederholt sich. Vieles könnte man auch weglassen. Meine Diagnose: notorischer Rededurchfall. Ich habe leider keine Kopfhörer mit. Großer Fehler No2.

Erster Halt: Foto Stop bei einem Castle. 50 Leute quellen aus dem Bus und strömen im Laufschritt zu dem Ding (oder was davon noch übrig ist). Das macht sogleich ein Fotografieren unmöglich, da alles voll ist mit farbenfroh gekleideten Leuten. Wer will die denn auf einem Bild mit nach Hause nehmen? Beim Aufstehen verschütte ich versehentlich den Rest meines Cappuccinos, der sich sogleich fröhlich in Richtung Vordersitz ausbreitet und erfolgreich einen am Boden stehenden Rucksack anpeilt. Da läßt sich nur mehr wenig tun. (Zum Glück ist es nicht meiner). Ich bin jedenfalls die Letzte, die dem Bus entsteigt. Das ist gut so. Ich warte, bis sich alle am Fotografieren und Umrunden des Turmes abgearbeitet haben und mache dann auch ein zwei nette Bilder. Als Erinnerung.

Bald schon geht es weiter. Der Knabe John B. plaudert wieder munter dahin, offensichtlich liebt er es, sich reden zu hören. Als definitiven Beweis seiner Existenz, wahrscheinlich. Im Sinne von: „Ich rede, also bin ich.“ Wir versuchen den Lautsprecher über unserem Sitz auszuschalten. Geht, aber hat kaum einen Effekt. Es dröhnt von rundum zu uns. Obwohl er auch wissenswerte Sachen erzählt, schalten meine Ohren ob der Dauer-Befaselung auf „Aus“. Hin und wieder schnappe ich einen Fetzen auf. Hauptsächlich versuche ich, wegzuhören und die Landschaft zu genießen. Ich muss mir unbedingt Kopfhörer besorgen. Oder nie wieder auf so einer Tour mitfahren.

Den zweiten Programmpunkt – eine Höhlenbesichtigung – lassen wir aus. Ich mag keine Höhlen. Zumindest mag ich nicht drinnen sein. Leider beschränkt sich das Alternativ- Programm auf einen 30 Minuten langen Spaziergang auf einem Parkplatz mit ein wenig Umgebung, leider nur sehr wenig. Immerhin scheint die Sonne. Das Höhlen-Cafe hat auch nicht viel zu bieten: Kaffee, Tee, Säfte, Wasser und lautstarke Abba-Hits. Ein Bierchen wäre uns lieber gewesen, das dämpft bekanntlich die Sinne. Hätten wir gut gebrauchen können. Wir spazieren durch den Souvenirshop und bestaunen Schafe in allen Variationen: als Kuscheltiere, Standfiguren, Polster, Rucksäcke, Taschen, Schlüsselanhänger, Socken, Flaschenöffner, Häferl, Postkarten u.v.m. und erwarten sehnsüchtig die Rückkehr der Höhlenmenschen.

Als wir schließlich bei den berühmten Cliffs ankommen, merken wir schnell, dass wir auch hier nicht ganz alleine sind 😉 Die Ladung unseres Busses ist im Vergleich zum allgemeinen Besucheraufkommen sogar relativ klein. Was soll’s. Wir wussten, dass dies kein Geheimtipp ist, also starten wir bestens motiviert los zu unserem Klippen-Spaziergang. Wenigstens redet da keiner auf uns ein. Nach links oder nach rechts gehen? Das muß man unbedingt schon vorher entscheiden! Die Vor- und-/oder Nachteile hat uns unser Bus-Chauffeur vorab schon ausführlich erläutert, leider waren meine Ohren aber ausgeschaltet. Wir gehen spontan nach links.

Es fühlt sich in etwa so an, wie ein Gang von der S-Bahn zur U3 in Wien Mitte, nur ist hier die Aussicht schöner, die Luft frischer, der Pfad wesentlich enger und ziemlich „gatschig“. Menschenmassenmäßig equal. Links und rechts sind Absperrungen aus Stein errichtet, damit auf der einen Seite die Menschen nicht ins Meer fallen und auf der anderen die Kühe nicht auf die Menschen losgehen können. Die Cliffs sind trotzdem sehenswert und ja, man kann das schon so sagen: sie sind atemberaubend. Allerdings wäre es wahrscheinlich besser gewesen, sich den steil aus dem Meer aufragenden Klippen auf einer Wanderung durch die Landschaft von unten zu nähern, aber das erfahren wir erst später. Als nach 1,5 Stunden brav wieder alle eingesammelt sind, freuen wir uns schon sehr auf den nächsten Programmpunkt: Mittagessen.

Unser erstes Irish Stew! Eine Portion – geteilt natürlich, sonst quasi unleistbar. Naja, reicht ja für uns beide. Das Lokal ist erstaunlich geschmackvoll eingerichtet und bietet sogar speziell vor Ort gebraute Biersorten an. Die Bedienung ist nett und man sitzt an kleinen Tischen, also keinerlei Massenabspeisung. Fein. Freude!! Essen und Bier sind wundervoll, Musik ist entweder nicht vorhanden oder so geschmackvoll und dezent, dass es angenehm ist, sich zu unterhalten. 10 OF 10 POINTS.

Nach dem Mittagessen „droht“ unser Fahrer mehrmals damit, nur mehr kommentarlos Musik zu spielen. Huch! Meine Vorfreude steigert sich. Er redet aber meistens trotzdem. (Im Sinne von: ich rede, also fahre ich… dann kann ich auch nicht so leicht einschlafen!) Als die „nackte“ Musik schlussendlich auf unsere Trommelfelle trifft, schalten wir instinktiv auf Gegenwehr und denken sofort über akustische Grenzkontrollmaßnahmen für unseren Gehörgang nach: nervöses Flötengedudel trifft auf hektisches Dudelsackgepfeife – im Abgang bisweilen gewürzt mit einem hübsch gesungenen, sehr traurig klingenden Lied. Prost! Wo sind bitte die Noise Off-Ohrstöpsel???

Ich konzentriere mich auf die vorbeiziehende Landschaft. Die ist wirklich sehr schön. Überall grüne Hügel, mit weißen, schafförmigen Punkten. Und viel Wasser – im Landesinneren überflutete Feucht-Gebiete, an der Küste viel Stein in interessanten Faltungen und Verwerfungen: Karst. Dahinter gleich das Meer – mit einer mächtigen Brandung! Wir folgen der Küste, wieder in Richtung Galway. Mit einem Mietauto wäre es hier traumhaft schön, die Gegend zu erkunden. Leider fahren die Iren auf der falschen Seite. Das macht es ein wenig mühsam, darum haben wir davon Abstand genommen.

@ Überflutet: einmal noch ergießt sich der gesamte Bus-Inhalt über ein paar karstige Felsformationen an einem Strand, an dem wir nun halten: sehr malerisch, sogar mit einem knallbunt schillernden, mächtigen Regenbogen vor einem grau-schwarzen Himmel ! Man kann von einem zum nächsten Stein hüpfen und tolle Fotos machen. Aber erst, wenn alle wieder im Bus sitzen. Oder ganz knapp davor.

Prolog

Einmal einen Urlaub ohne (teures) Mietauto machen und ein Land mit den Öffis bereisen – das war die Idee. Mein Mann und ich fanden das prinzipiell gut. Nur die Rechnung haben wir ohne den Wirt gemacht. In der Praxis bekommen es Irland- Reisende mit diversen Widrigkeiten zu tun, die – zumindest für uns Österreicher – durchaus überraschend sind.

Kapitel 1: Der Zug

Frisch vom Kontinent eingeflogen, wollen wir die ersten Nächte lieber im Westen des Landes verbringen, wo an Wochenenden die Übernachtungspreise erschwinglicher sind als in der Metropole Dublin. Dafür nehmen wir einen Zug. Haben wir daheim recherchiert. Der Intercity Dublin – Galway fährt alle zwei Stunden. Naja, nicht gerade ein berauschend dichtes Intervall, aber es geht sich gut aus. In 1,5 Stunden sollte es locker zu schaffen sein, die 15 km vom Flughafen zum Bahnhof mit dem Bus zurückzulegen. Dachten wir. Nicht so in Dublin. Unser Bus zuckelt im dichten Stadtverkehr träge dahin und hat gegen Ende seiner Strecke auch noch gefühlt alle 100m eine Haltestelle.

Etwa eine Minute vor der geplanten Abfahrt unseres Zuges (13:35) fahren wir endlich beim Bahnhof vor – schaffen wir das noch? Kurzentschlossen laufen wir einfach los. Einer Leuchttafel entnehme ich im Vorbeirennen: Galway 13:49. Hey, der fährt ja erst 4 Minuten später als gedacht, das ist ja fantastisch! Wir drucken in erstaunlicher Geschwindigkeit zwei Tickets aus dem Automaten, passieren die Kontroll-Sperre, müssen dort aber wieder raus, weil unser Ziel-Gleis, Nummer 7 wie sich herausstellt, am ganz anderen Ende des Bahnhofes liegt. Wir winken und wedeln mit unseren Tickets und ein uniformierter Mensch läßt uns gnädigerweise in die entgegengesetzte Richtung wieder durch.

Wir spurten Richtung Gleis sieben. Am anderen Ende. Ein paar Menschen kommen uns entgegen. Viele Menschen dann. Menschenmengen nun. Sie strömen aus einem Zug, der soeben angekommen ist: Der Intercity aus Galway. Arrival 13:49. Hier sieht man es groß auf der Anzeigetafel. Shit. Das war wohl nix. Dann nehmen wir eben den nächsten – tja, was sind schon zwei Stunden!? Man muß es positiv sehen. Essen ausfassen ist angesagt, wir sind ohnehin sehr hungrig.

Unsere erste Bekanntschaft mit irischem Pubessen ist jedoch nur mäßig erfreulich. Wir teilen uns um sauteures Geld eine Portion matschiges Kartoffelpüree mit zwei trockenen Truthahnscheiben und totgekochtem Gemüse (der Farbe nach zu urteilen waren es im früheren Leben wahrscheinlich einmal Karotten), das Ganze schön salzarm (soll ja gesund sein). Zu unserem Glück gibt es neben Servietten, Salz, Pfeffer und Zucker aber auch noch Saucen: Senf, Ketchup, Mayo und diverse Flüssigkeiten in allen Variationen, Farben und Formen, in Gefäßen oder abgepackt in kleine Röllchen, in Hülle und Fülle: die Sauce – Lichtblick des irischen Essens, Würze seines fahlen Lebens. Das wird man sich merken müssen.

Den Rest der zwei Stunden Wartezeit verbringen wir den Bahnhof umrundend (man muß sich ja mal bewegen), was mit dem ganzen Gepäck jedoch nicht wirklich optimal ist. Also landen wir bald wieder in einem Pub, bzw. davor, denn die Oktobersonne scheint herrlich warm. Wir klopfen ein Glas Guinness auf seine Genießbarkeit ab und finden es schon mal wesentlich besser als das Essen vorhin. Ist in dem Fall keine große Kunst. Aber ja, doch, laß es ein bißchen einwirken – es ist wirklich gut, ein wenig schokoladig! Diverse Getränke munden jedenfalls dort, wo sie hergestellt werden. Allerdings nur dort. Zu Hause ist das wieder was ganz Anderes. Man denke an die eine oder andere aus dem Urlaub mitgebrachte Flasche Retsina oder Ouzo, der daheim einfach nur grauslich schmeckt.

So ein irisches Pub ist wohl auch nur in diesem Land besonders schön und stimmig. Es hat jedenfalls ein ganz eigenes Flair, angefangen beim Interieur mit den dunklen Wandfarben und den zahlreichen Zapfhähnen, Spiegeln, Tafeln und Werbeschildern bis hin zu seinem dem Publikum, dem lebendigen Interieur. Skurile Gestalten, sonderbar bisweilen. Wunderbar zum einfach Dasitzen und Beobachten. Wir haben ja gerade Zeit dafür.

Als wir die Bahnhofshalle wieder betreten, schweigt sich die große Anzeigetafel aus: sie zeigt zwar genaue Abfahrtszeit und Destination, aber von welchem Gleis unser Zug abfahren wird, bleibt bis etwa fünf Minuten davor Geheimnis der irischen Bahn. Rund um uns stehen und starren etwa weitere 100 Leute auf die Leuchttafel, und als endlich eine Nummer neben “Galway” aufleuchtet, starten alle los wie beim Vienna City Marathon, allerdings mit Koffern und Taschen und größtenteils ohne Laufschuhe.

Wir ziehen mit dem bepackten Menschenstrom zu den Wagen, die sich nun rasch und zügig füllen. Viel Zeit bleibt ja nicht mehr bis zur Abfahrt. Und wir haben Glück: wir ergattern zwei schöne Plätze am Fenster und lassen uns erleichtert nieder. Geschafft. Für einen kurzen Augenlick jedenfalls. Auf kleinen Leutschildchen neben dem Fenster ist bei uns “O’Neil” und “McCormick” zu lesen. Oder so ähnlich. Jedenfalls sind damit sicher nicht wir gemeint, denn wir haben keine Sitzplatzreservierung, nur ein Ticket aus dem Automaten. Doch Namen stehen überall, jeder einzelne Platz hier ist vorreserviert. Wieso bitte sagt uns das niemand? Auch das blöde Internet in Wien nicht?!

Frustriert verlassen wir die Sitze, die kurz darauf schon von ihren rechtmäßigen Besitzern eingenommen werden und suchen uns einen Steh- beziehungsweise AufdemKoffersitzplatz. Meiner trägt mich (sagt man das so, wenn man drauf sitzt?) ganz gut, der meines Mannes dellt sich leider nach kurzer Zeit erheblich ein. Zum Glück gibt es ja einen Boden, auf dem man sitzen kann. Wir hoffen darauf, dass zwei Menschen möglichst bald aussteigen und uns beerben würden, und so kommt es dann auch.

Etwa auf halber Strecke bleibt der Zug stehen. Steht. Und bleibt es auch. Dann eine Durchsage: leider verzögert sich unsere Weiterfahrt, da die Schienen überflutet sind. Auch das noch. Ja, stimmt, es regnet. Aber es scheint auch die Sonne. Ein wirklich prächtiger Regenbogen spannt sich auf einem schwarzgrauen Himmel auf, in dessen Betrachtung wir ein Weilchen versinken. Wie die Überflutung beseitigt werden konnte bzw. warum wir problemlos nach etwa 10 Minuten weiter fahren können, entzieht sich meiner Kenntnis und wird auch nicht erklärt.

Unsere Fahrt nach Galway brachte es schließlich auf drei Stunden und 15 Minuten. Wir hatten also eine dreiviertel Stunde länger als geplant das Vergnügen, die irische Bahn nutzen zu dürfen. Welch Freude. Als wir unsere Unterkunft erreichen (ich akzeptiere heute kein anderes Verkehrsmittel mehr, außer ein Taxi!), sind wir von unserer Haustüre daheim insgesamt 10 Stunden unterwegs. Welcome to the West. Ich fühle mich angekommen. Am Ende der Welt.

Nach einer kleinen Ruhepause im Hotel fahre ich mit einem Gratis Bus Shuttle (guter Service 🙂 ins Zentrum des abendlichen Geschehens: zur Fontana di Trevi. Ein Eisbär-Gehege in einem großen Zoo sieht auch nicht anders aus. Okay, …die großen steinernen Statuen (wohlgeformte Körper in anmutigen Posen im Hintergrund) sind schon etwas Besonderes. Dem Eisbär warat’s wurscht. So wie die Menschenmassen davor. Und die vielen Münzen, die ins Wasser geworfen werden. Alljährlich fischt die Stadt Rom angeblich Metall im Wert von 1,4 Millionen Euro aus dem Brunnen. (Sich selbst zu bedienen ist übrigens strengstens verboten!!). Eisbär gibt es jedenfalls keinen – dem wäre es ohnehin zu warm hier.

Ich setze mich an meinem ersten Rom-Abend Ende Dezember lieber ein wenig abseits vom Geschehen in ein Restaurant in einer unscheinbaren Nebengasse. An der Frischluft verzehre ich das beste Saltimbocca meines Lebens: hauchdünn, in Begleitung eines Gedichts von Sauce mit Salbei und Schinken, dazu gedämpfter Chichoree-Spinat. Das kann schon was. Ich bin glücklich, dass ich ein typisches – und äußerst gutes – Lokal gefunden habe. Meine Intuition leitet mich da oft richtig.

Als ich die Rechnung verlange, gibt es ein Problem mit der Kartenzahlung. Ich habe mich vorab natürlich erkundigt: “si, si, certo, Karte nehmen wir.” Nun? Wo ist der nächste Geldautomat? “Kein Problem, geht schon, nur ein paar Minuten Signorina…” Ich bestelle einen, nein eine (!) Grappa, zur Verkürzung der Wartezeit und Ankurbelung der Verdauung. Nach etwa 15 Minuten kommt der Kellner, die elektronische Zahlung funktioniert wieder. Der/die Grappa geht leider nicht auf’s Haus wie erhofft und schlägt mit weiteren 6.- Euro zu Buche. Saftig. Ich frage mich, ob diese Wartezeit beabsichtlgt war…

Den Heimweg trete ich zu Fuß an, ein nächtlicher Spaziergang über einen Hügel tut gut. Es ist noch immer lauschig warm (für Ende Dezember). Am nächsten Morgen packe ich meine Siebensachen und frühstücke lieber gleich im Hotel: ein Cappucino und ein Cornetto – das gibt es sogar gratis. Ich habe beschlossen, eine Sightseeing Tour im Doppeldecker Bus zu machen und dann den Menschenmassen zu entweichen und ans Meer zu fahren. Dort habe ich zwei Nächte in einem Airbbnb Appartement gebucht, mit Meerblick -Terrasse.

Die Bus-Tour ist interessant und informativ (ich mache das in jeder Stadt gern, um mir einen Überblick zu verschaffen). Hier gibt es neben den zahlreichen Prunkbauten, Kathedralen und Kirchen noch so viele alte Steinhaufen – Mauerreste, Säulen, Plätze, Theater und Aquädukte,… dass ich mich schlicht überfordert fühle. Am Ufer des Tiber steige ich aus und gönne mir eine Pause.

Ich überquere eine kleine Brücke. Diese führt zur Engelsburg, einem imposanten Gebäude, das auf den römischen Kaiser Hadrian zurückgeht und im Mittelalter zu einer Festung ausgebaut wurde. Mit den beiderseits seitlich aufgestellten Statuen erinnert mich die Brücke ein wenig an die Karlsbrücke in Prag. Dort gibt es allerdings keine “Legionäre”. (Ein Mann in Römischer Kampfkleidung, inklusive Helm treibt sich drauf herum… Instagram Fotomodell?).

Daneben wieder das Übliche: schwarze Menschen, die rotierende Spielzeugautos, Monster, Taschen, Ketten und Sonnenbrillen zum Verkauf anbieten, natürlich mit dazugehöriger elektronischer Geräuschkulisse. Aus einem Kiosk am anderen Ufer dröhnen lautstark Abba Hits. Sie verschmelzen unelegant mit den Elektronik-Spielzeug-Sounds und einem sehr penetranten Dudelsack, der selbstbewußt vor der Burg positioniert seinerzeit wahrscheinlich die schlimmsten Feinde zu verjagen imstande gewesen wäre. Im Hintergrund erhebt sich mächtig der Petersdom. Schon schön, doch dieser Akustikmüll ist eine echte Zumutung!! (Wo ist bitte ist hier die “Mute” Taste??) Schließlich finde ich Zuflucht und ein wenig Ruhe in einem kleinen Park an der Burg-Hinterseite, wo ich mich über strahlend blauen Himmel, saftig grüne Pinien und spielende Kinderstimmen freuen kann.

Am Rückweg entdecke ich einen frischen Legionär auf der Brücke Dieser trägt knall-orangene Sneaker. Bitte das geht gar nicht! Aber auf den Fotos ist das wahrscheinlich eh nicht zu sehen. (Auf Instagram sind die Menschen ohnehin immer beschnitten.)

Dann spaziere ich in Richtung Piazza Navona und tauche (endlich) in ein für mich authentisches, sehr charmantes Rom ein, mit Antiquitäten-Läden, Osterias und schlichten Pasta-Lokalen. Ich finde eine Bar, wo ich für ein riesiges, leckeres Tramezzino mit Gamberetti & Rucola nur Eur 2,50 zahle. Natürlich einen Cappucino (um Eur 1,50.-) dazu. Oh yeah. La Vita e bella. Das Leben ist schön. Man muß nur wissen wo.

Im Nachhinein weiß man immer alles besser. Aber geplant wird im Vorhinein. Für mich persönlich bedeutet das: schöne Sachen (also Reisen :-)) unternehmen, auf die man:frau sich freuen kann, vor allem nach einer besonders anstrengenden Zeit.

Um es kurz zu machen, ich hatte eine Auszeit dringend nötig, da mich die letzten Monate mit meiner hochbetagten Mutter und diverse damit verbundene Aktionen den letzten Nerv gekostet haben. Am 24.12. noch mal schön Weihnachten mit Familie (inkl. Oma) unterm Baum feiern und dann nichts wie weg. Und zwar ganz alleine! Gedacht, getan.

Das Zugticket (one way) nach Rom war nicht sonderlich teuer, ich erstand es nach einer spontanen Eingebung am Abend des 21. Dezember, natürlich online. Heutzutage geht das ja mit nur einem Klick – schon ist dein Schicksal besiegelt, bzw. deine Zukunft ein Stück weit vorausgeplant.

Wegen der Rückfahrt wollte ich mir alle Optionen noch offen halten. Wer weiß, wie das Wetter wird, wie lange es mir Spaß macht, in der ewigen Stadt herumzustapfen, es gibt ja so viel zu sehen…hmmm… eventuell sogar dort Silvester feiern, ja warum denn nicht? Obwohl, ein Konzert am 30.12. wäre in Wien zu singen, da sollte ich schon wieder zu Hause sein, außer… naja. Also, zur Sicherheit nur die Hinfahrt buchen, im Liegewagen, ÖBB Nightjet: einmal schlafen und “bling” – schon bin ich in Rom. Wie Weihnachten ist das.

Der erste Cappucino am Bahnhof schmeckt göttlich. Vor allem, wenn man bedenkt, dass ich pandemiebedingt nun schon zwei Jahre auf Italien-Entzug bin. (Wahnsinn.) Das Hotel ist fußläufig erreichbar (so war das ja klugerweise geplant). Ich laufe an den ausgedehnten Diokletian Thermen vorbei (was ist das denn für ein Riesen-Ziegel-Haufen?? – sicher was Wichtiges) und stehe nach 15 Minuten an der Rezeption. Es ist 9:30, ich bin ziemlich übernachtig von der Zugfahrt (böse Zungen würden jetzt behaupten, ich hätte ja auch einen “Liegewagen” und keinen “Schlafwagen” gebucht – den gab es leider nimmer!).

“Herzlich Willkommen! Unser check in beginnt um 15:00 :-)” Oida! Sie können aber sehr gerne Ihr Gepäck schon mal da lassen. Und an der Bar einen Kaffee trinken. Oder wenn Sie möchten: ein “early check in” wäre auch möglich, ab 11:00 kostet zzgl. Eur 28.- Grins.”

Kurze Überlegung, schnelle Kapitulation: ich bin saumüde und will dieses kuschelige Hotelbett JETZT, SOFORT! Oder halt möglichst bald. Ich trinke einen Kaffee und oh, Wunder, das Bett ist nach ca. 10 Minuten schon fertig.

Ich schlafe eine Weile süß und nehme danach die Stadt in Angriff. Eigentlich will ich nur in so eine kleine Bar, für meinen Cappucino No.3 und ein kleines Tramezzino. Nicht so leicht zu finden, dafür gibt es jede Menge Restaurants, Pizzerien, Fast Food Lokale, Osterias. Ich bleibe hartnäckig. Das Kollosseum taucht vor mir auf. Ich weiß, in welche Richtung ich gehen muß. Bis zum Petersdom ist es zwar noch ein Stück, aber der Platz hier vor dem Amphitheater ist schon voll “urbi et orbi” also voll “ur und oag”. So viele Menschen tummeln sich da, es “wurlt” in alle Richtungen und es ist laut. “Wollen Sie eine Privat Tour buchen? Heute ist das Ticket Office geschlossen! Ich biete Ihnen…” Nein, danke.

Das akustisch Wertvollste hier stellt für mich ein junger Mann mit seiner Gitarre dar (natürlich auch der verstärkt), den man aber erst jetzt hört, wo der Schlager-Karaoke-Playback-Sänger mit seiner Turbo Anlage eine Pause macht. Dazwischen wui wui, knarrz, knarrz, tok, tok tok… Spielzeug Elektro Autos, die leuchten und sich drehen, diverse batteriebetriebene Plastikmonster, die zum Verkauf angeboten werden, Sonnenbrillen, Halstücher, Schmuck, Handtaschen und Vieles mehr – allesamt feilgeboten von kohlrabenschwarzen Menschen, die perfekt englisch oder französisch sprechen. In der Ferne quäkt ein Dudelsack. Auch das (gibt es) noch.

Doch die Sonne scheint an diesem 26. Dezember und es hat herrliche 17 Grad. Ich schreite ungeachtet dieser zahlreichen Verlockungen voran und finde sogar einen freien Platz auf einer Lokalterrasse, wo ich mich niederlassen und ein Glas Prosecco im Freien genießen kann. Molto bene. Preis: Euro 6.- Na servas.

Anflug minus 16 Koffer

Unsere Reise nach Spanien beginnt mit einer seltsamen Ankündigung des Flugkapitäns an Bord unserer Maschine nach Malaga: “Unser Abflug verzögert sich leider noch etwas, da wir 16 Gepäcksstücke wieder ausladen müssen. Einige Personen haben sich entschlossen, die Reise heute nicht anzutreten.” Verwunderung allseits – welche Idioten checken ihr Gepäck ein, um dann doch nicht mitzufliegen??? Ich denke kurz an einen möglichen Defekt des Fliegers, verwerfe den Gedanken aber bald wieder als wenig hilfreich und versuche, ein Wenig zu dösen. Die vergangene Nacht war kurz und nicht besonders schlafintensiv: Ich leide an typischem “Vorfreudeaufregungnichtschlafenkönnenundsichmindestens hundertmalherumwälzen”. AUA schafft es jedenfalls in erstaunlich kurzer Zeit, das Auslade-Problem zu lösen und es geht endlich los.

Nach einiger Zeit flüchtet eine Frau von hinten auf den neben mir freigebliebenen Sitz und berichtet von feucht-fröhlich-nervenden Zuständen in den letzten Reihen. Die Besitzer der 16 wieder ausgeladenen Teile scheinen schon am Flughafen in Wien dermaßen alkoholisiert gewesen zu sein, dass man es wahrscheinlich vorgezogen hat, sie erst gar nicht nicht an Bord zu lassen. Es ist Beginn der Osterferien, eine Restgruppe der unfreiwillig Abtrünnigen befindet sich jetzt grölend im Heck und weigert sich, Maske zu tragen. Es ist immer noch Coronazeit und Maskenpflicht an Bord. Nun gut, der großangelegten Zufuhr von alkoholischen Getränken ist das zugegebenermaßen nicht besonders förderlich. Zum Glück sitzen wir in der Mitte und haben davon bislang nichts mitgekriegt

Ein äußerst gut gelaunter Kapitän zeigt uns den verschneiten Großglockner auf der rechten und die drei Zinnen auf der linken Seite und belohnt uns mit einem spektakuläten Anflug über die Sierra Nevada, hinunter in weitem Bogen über das Meer, wo er lange sehr tief fliegt und ich mir schon Sorgen mache, dass wir bei der nächsten Kurve mit einem Flügel an der Wasseroberfläche kratzen oder dem unmittelbar unter uns dahintuckernden Frachtschiff einen Besuch abstatten würden. Ich freue mich über eine letztendlich meisterhaft geglückte Landung (es gibt sogar Applaus 😉 ebenso wie über die Tatsache, dass mein Handgepäck auch tatsächlich mitgekommen ist. Weil der Flieger so voll war, wurde gebeten, möglichst Alles – kostenlos – einzuchecken: “Bitte das Köfferchen einfach in der Kurve zum Flugzeugeingang abstellen.” Und dann in guter Hoffnung verharren. Ging ja gut – diesmal zumindest.

Weiß ist relativ und kalt ist ziemlich

Ich bin mit meinem Mann unterwegs und unsere erste Station ist eines der typischen romantischen, weißen Bergdöfer Andalusiens. Nur von weiß kann jetzt gerade keine Rede sein: ein Unwetter hat tonnenweise Saharasand über das Meer verfrachtet und alles mit einem leuchtenden Rostrotton überzogen. Überall sieht man Menschen wischen, putzen und kärchern – damit die berühmten Dörfer für die Touristen bald wieder in gewohntem, sattem Weiß erstrahlen können. Die steingepflasterte, steile Hauptstraße des alten Ortskerns von Frigiliana ist für solche Wassermassen nicht ausgelegt, es ist hier dermaßen rutschig, dass man aufpassen muß, sich nicht den Hals zu brechen. Mein Mann kann sich nach einem kleinen Aufsitzer mit der Hand gerade noch abfangen, ich krieche in Zeitlupentempo die Gasse hinunter und schaffe es sogar ohne unerwünschten Bodenkontakt. Zwei Tage lang hört man unentwegt den Kärchermotor laufen. Das nervt. Aber dafür ist der Ausblick großartig: dunkelrote Ziegeldächer, grüne Berge, und dahinter das blaue Meer – man sieht bis zum Küstenort Nerja hinunter. Der Himmel ist strahlend blau, die Sonne scheint, alles traumhaft. Wir sind weit weg vom noch immer wintergrauen Wien und saugen die spanische Frühlingsluft dankbar ein.

Wir wohnen für vier Tage in einer schnuckelig kleinen Altstadtwohnung mit mehreren Zimmerchen, einer Dachterrasse und steilen, engen Treppen – alles mini klein und perfekt, um sich den Kopf anzuhauen. Was uns auch immer wieder mal gelingt. Im Sommer ist das sicher der perfekte Ort, um der spanischen Hitze zu entfliehen, kurz vor Ostern im April jedoch einfach nur saukalt. Die dicken Mauern werden einfach niemals warm, die Fenster sind klein und dafür ausgelegt, möglichst wenig Sonne nach innen zu lassen. Wir reißen alle Fenster und Türen weit auf, doch trotz Sonnenscheins und angenehmer Tagestemperaturen wird es innen einfach nicht warm, und schon gar nicht gemütlich. Wenn die Sonne untergeht, fällt die Kälte gnadenlos ein. Wir schlichten alle Decken, die wir finden können übereinander und schlafen in voller Montur. Ich habe nur einen einzigen (weißen) Sweater mitgebracht. Ein Fehler. Das erste was ich mir in unserem Spanienurlaub kaufe, ist ein Anorak, ohne Ärmel, aber gut gefüttert. Der rettet mir das Leben.

Wir finden unsere “neue Heimat” in einer Tapas Bar der besonderen Art. Schon beim ersten Umherstreifen ist uns diese kleine Oase aufgefallen. Coole Musik, geschmackvolle Einrichtung, ein Platz um sich gemütlich niederzulassen – eine Vinothek mit einer ausgesuchten Jazz-Plattensammlung! Vinyljuwelen stehen in einer kleinen Nische, mein Mann ist vollauf begeistert. Die Besitzerin erzählt, dass ihr Freund DJ ist und die Platten ihm gehören, jetzt gerade ist er in London. Hier fühlen wir uns wohl. Wir kosten uns durch Empanadas, Spargel, Oliven, Öl und diverse Weine und lassen relativ viel Geld da. Aber was soll’s – ein Wohlfühlabend, der sich später noch einmal wiederholen sollte.

Gewagte Fahrmanöver durch enge Gassen

Am nächsten Tag schieben sich schon die ersten Touristengruppen an unserem Frühstücks-Tisch vorbei, folgen einem fähnchenschwenkenden Anführer und fotographieren alles, was sie vor die Linse kriegen: weiße Häuser, Treppen, Pflaster, Fliesen, Balkone, Blumenschmuck,… Wir sitzen in einem kleinen Cafe – vier Tische auf einer mini Terrasse, davor liegt die enge Haupt-Gasse, durch die aller Fuß- und auch Wagen-Verkehr führt. Wir beoachten erstaunliche Fahrmanöver, millimetergenaue Präzisionsarbeit mit glegentlichen Seitenspiegeleinklappungsaktionen. Auch ich mußte am Tag zuvor mit unserem Mietauto durch diese Gasse zu unserem Quartier zufahren und freute mich, dass wir uns für keinen größeren Wagen entschieden hatten. Man fährt quasi mitten durch die kleinen Obst-Geschäfte und Souvenirläden durch, Passanten drücken sich abenteuerlich, abrupt in Hauseingänge oder diverse Nischen, aber irgendwie geht sich letztendlich alles aus.

Wir flüchten nach dem Kaffee gleich mal in höhere Sphären, steigen bergan und freuen uns über den Ausblick. Ein älterer Mann lädt uns in seinen Garten ein und beschenkt uns mit Avokados: er hat so viele, dass er gar nicht weiß, wohin damit. Sie erweisen sich als die köstlichsten, die wir jemals gegessen haben. Wir erklimmen einen Hügel mit noch grandioserer Aussicht, gehen eine Zeitlang entlang einer Wasserleitung mit Blick in eine Schlucht, steigen viele, viele Treppen und freuen uns über die wunderschöne Natur.

Nach vielen Schritten und zurückgelegte Stockwerken (zum Glück informiert uns ja eine App über unsere tolle Leistung! 😉 lassen wir uns auf unserer kleinen Dachterrasse nieder. Diese entpuppt sich als der gemütlichste und wärmste Ort und dort fühlt es sich wirklich an wie Urlaub im Süden. Großartig!

Noch nie habe ich mich bei einer Reise so gefühlt, als wäre ich plötzlich in der Vergangenheit gelandet. Ja, in Afrika, wenn die Unterkunft oder das Essen recht einfach war, oder in der Bretagne, als man uns auf einem Bauernhof einmal für drei Tage eine Trockentoilette zumutete, war das auch eher “von gestern”. Aber das meine ich nicht. Das läuft unter kulturell oder regional bedingte Unterschiede. Meine Reise nach Stockholm in diesem Dezember 2021 war eine Reise in eine hochmoderne Welt, in der alles ganz “normal” war. So wie bei uns früher. Alle Geschäfte sind geöffnet und gut frequentiert, die Menschen amüsieren sich bei einem Bier und sitzen dicht gedrängt an der Bar, die Restaurants haben Hochbetrieb und die Kellner wuseln herum, wie eh und je, als ob nichts wäre.

Nicht einmal in der U-Bahn tragen die Leute Masken. Auch nicht am Flughafen. Lediglich eine Empfehlung existiert in Form von gelben Schildern oder Aufklebern: “Halten Sie 2m Abstand” oder “Tragen Sie einen Mund-Nasenschutz”. Daran halten tun sich die Wenigsten. Und wie soll man bitte vor einem Security-Check-Schalter jemals 2m Abstand zum Nächsten halten, wenn man sich inmitten einer Menge von etwa 200-300 Menschen befindet, die alle innnerhalb der nächsten 1, 2 Stunden irgendwohin fliegen wollen? So groß ist kein Flughafengebäude. Jedenfalls nicht das in Stockholm.

Wie sich das anfühlt, brauche ich wohl niemandem zu beschreiben. Erstmal großartig. Zumal wir gerade aus einem Wien kommen, das sich im totalen Lockdown befindet. Wir spazieren durch die hübschen, weihnachtlich dekorierten Straßen und sind erstaunt darüber, dass nicht nur alle Geschäfte offen sind, sondern auch alle Eingangstüren zu den Shops. Sperrangelweit, wie im Hochsommer. Und das bei minus vier Grad.

Nordische Frischluftkur

Frischluft ist schon mal eine gute Variante, um Virenlasten zu verdünnen. Das scheint hier zumindest im Handel ganz gut zu funktionieren. In den Restaurants und Bars hingegen ist mir das nicht so ganz nachvollziehbar. Gasträume sind zwar meist professionell entlüftet, aber das auch nur in größeren Häusern. Ich bin jedenfalls trotzdem ein wenig vorsichtig, wenn es dicht wird. In der U-Bahn fühle ich mich ohne Maske fast nackt, richtig strange ist das, aber für mich fühlt es sich anders besser an, also setze ich dort das Ding eben auf. Am Flughafen sowieso. Aber dazwischen genieße ich die Freiheit und die Lebendigkeit dieser Stadt. Menschen, die sich zuhauf ungezwungen in einem Lokal amüsieren, wann habe ich das zuletzt gesehen? Im Sommer vielleicht, in einem Gastgarten, ja, in Kroatien…. auch schon eine Weile her.

Das schwedische Wunder, angeblich wissen es die obersten einheimischen Virengurus auch nicht, wieso das dort so geht, die Impfrate ist nämlich erstaunlicherweise gar nicht so außergewöhnlich hoch. Vielleicht kommt sie ja noch die Welle, aber darüber will ich weder schreiben noch spekulieren. Ich selbst bin jedenfalls dreimal geimpft und fühle mich einigermaßen geschützt. Ich bin riesig froh, diese Reise unternehmen zu können und nehme mir einen Teil dieses ungezwungenen, freien Gefühls mit nach Hause und genieße es vor Ort in vollen Zügen. Als passionierte Reiserin in südliche Gefielde tut es mir fast leid, dass ich diese wunderbare Stadt nicht schon früher entdeckt habe. Auch wenn es kalt ist und die Sonne schon um 15:00 untergeht. In Stockholm ist es im Winter lange stockfinster und ich habe nach drei Stunden Dunkelheit schon um 18:00 das Gefühl, es wäre an der Zeit, bald schlafen zu gehen. Hell wird es auch erst um 8:15, da lohnt es sich auch nicht einmal, früh aufzustehen. Aber egal.

Die Stadt im Wasser

Ich habe eine neue Liebe gefunden, und zwar dort, wo ich sie niemals vermutet hätte, im hohen Norden. Diese großartige Stadt muß unbedingt noch öfter bereist werden. Die Lage am Wasser ist einzigartig, die Stadt verteilt sich über 14 Inseln. Überall gibt es Wasser und Brücken, aber anders als in Amsterdam, Venedig oder Kopenhagen sind das keine Kanäle, hier ist Inselhopping angesagt. Die Gebäude sind prunkvoll und mit vielen Türmchen ausgestattet, die Altstadt und die angrenzenden Stadtteile sind malerisch, man kann endlos durch Gassen schlendern und einfach nur schauen. Es gibt auch noch viele alte Häuschen aus Holz, was mich persönlich besonders begeistert, da ich solche ja sehr gern male. Die Geschäfte und Lokale sind sorgfältig, geschmackvoll und ideenreich dekoriert, und man fühlt sich dort gleich wohl. Beim Betreten einer Gaststube wird sofort unaufgefordert Wasser serviert, oder es steht ein Behältnis zur Verfügung, wo man sich welches holen kann, und das natürlich gratis.

Ich bin mit meiner Tochter unterwegs, der ich zum 20. Geburtstag diese Reise geschenkt habe. Nicht ganz uneigennützig (LOL). Wir lieben es, zu zweit fremde Städte auszukundschaften (wobei mir die Shopping Komponente weitaus weniger wichtig ist als ihr ;-). Mittlerweile hat sie ein Alter erreicht, wo sie auch für Museen zu begeistern ist, gerne einfach mit mir durch die Straßen schlendert, Eindrücke sammelt und Fotos macht. Und wir können zwischendurch auf einen Drink gehen und über Gott und die Welt plaudern. Love it.

Fotografiska und der schönste Ausblick von Welt

Die Zeit vergeht wie im Flug. Altstadt, Bürgerhäuser, Königspalast, liebevoll renovierte Holzhäuser, Blumen- und Weihnachtsmärkte, eine historische Markthalle,… Drei Tage sind definitiv zu wenig, allein die Kälte setzt der Entdeckungslust ein wenig entgegen. Schön, dass man sich für eine Weile in ein Cafe oder ein Museum zurückziehen kann, z.B. in das “Fotografiska”, Museum für Fotografie – untergebracht in einem denkmalgeschützten Backsteingebäude aus dem 19. Jahrhundert. Ich liebe solche Bauten, außen völlig romantisch retro und im Inneren hypermodern. Eine Videoinstallation von “shaking cats & dogs” in mega Zeitlupe begrüßt und amüsiert uns, schlabbernde Möpse und Bulldoggen, Fellmonster und Haarkönige. Die mehrere Themen umfassende Ausstellung ist nicht sonderlich groß (echt tolle Fotografien und Videoinstallationen!) dafür aber umso beeindruckender, sie wird aber noch überragt vom Ausblick aus den riesigen Panoramafenstern des Museumsrestaurants auf die gegenüberliegende Stadtinsel bei Sonnenuntergang. Leider werden wir verscheucht, weil wir nur einen Kaffee trinken wollen, für ein Abendessen ist es uns um 15:15 eindeutig zu früh, doch nächstes Mal würde ich das sicher dahingehend timen, nur um dort sitzen und den großartigen Ausblick genießen zu können.

Wir kehren hundemüde mit einigen (Shopping-) Beutestücken in unser Hotel zurück, wo wir die Zeit bis zum Abendessen überbrücken (also, früher als 18:00 geht gar nicht) und kriechen in unsere Betten, wo man nach einer etwa 30 minütigen Heißwasserdusche ein wenig Komfort finden und genießen kann. Das Haus ist alt, dafür in einer Top-Lage. Es zieht und es ist kalt im Zimmer. Die Frischluftversorgung ist auf jeden Fall garantiert.

 Kötbullar ist kein Schimpfwort

Der kulinarische Höhepunkt unserer schwedischen Reise, das erste warme Essen innerhalb der letzten zwei Tage steht unmittelbar bevor: “Köttbullar” – für meinen Mann, einen “Ikea-Restaurant-Hasser” ein Schimpfwort – zu unrecht, wie ich hier anführen möchte!! Diese hier sind ein Gedicht aus Elch- und Rentierfleisch in sämiger Sahnesause mit flockigem Kartoffelpüree und frischen (!) Preiselbeeren, besser bekannt als Cranberries. Herrlich, himmlisch, hervorragend. Beim Bezahlvorgang streikt meine Bankomat-Karte, wahrscheinlich will auch sie ihren Unmut über die astronomischen Preise zum Ausdruck bringen. Ein Glas Wein kommt etwa auf umgerechnet Eur 11.50, dafür ist es mehr als ein Achterl, wahrscheinlch 0,2 l. Ich habe ja eh vorsorglich nur eines getrunken!! Zum Glück hat meine erwachsene Tochter auch noch eine Bankomatkarte dabei, Bargeld besitzen wir keines, es würde ohnehin wahrscheinlich nicht akzeptiert. In Schweden zahlt man alles mit Karte, vom Glögg am Punschstand bis zum Großeinkauf im Möbelgeschäft.

Fast wie am Nordpol

An unserem letzten Tag steht noch ein Ausflug ins Winterwonderland bevor. Nach nur 10 Minuten Fahrt mit der Fähre, die Teil des umfangreichen öffentlichen Verkehrsnetzes ist, erreicht man die Insel Djurgarden, die im Sommer zum Pickniken und Spazieren oder in den hypermodernen Luna Park einlädt, jetzt aber der ideale Ort ist, um (vor)weihnachtliches Feeling aufkommen zu lassen. Wir besuchen das Freilichtmuseum “Skansen”, ein absolutes Highlight unserer Winterreise. Wir haben Glück. dass es vor einigen Tagen geschneit hat und alles wunderweiß angezuckert ist. Dafür ist die Kälte ja gut – dass sich nicht gleich alles in “Gatsch” verwandelt, wie meistens nach einem Schneefall in Wien.

Ein gewisser Herr Skansen hat vor vielen Jahren alte Holzhäuser in ganz Schweden vor zerstörendem Abriß bewahrt und auf dieser Insel wieder aufstellen lassen. So entstand ein richtiges Dorf, durch das man schlendern kann, mit einem Tierpark, wo natürlich auch Elche und Rentiere zu bewundern sind. In einigen Häusern wird alte Handwerkskunst demonstriert: in der Glasbläserhütte können wir zusehen, wie die schönen mundgeblasenen Weihnachts-Kugeln gemacht werden. Ziemlich aufwändig ist das und es erfordert viel Fingerspitzengefühl und Geduld.

Das Gelände ist pittoresk, weitläufig, hügelig und baumreich – und um Einiges kälter als in der Stadt. Vor jedem potentiellen Fotomotiv überlegen wir uns gut, ob es sich lohnt, die Handschuhe auszuziehen…? Mittendrin befindet sich der riesige, wunderschöne Weihnachtsmarkt. Hier findet man kaum Kitsch, sondern geschmackvolle und sinnvolle Sachen, jede Menge Textilien (gestrickt, genäht, gehäkelt, gefilzt…), Kerzen (hübsch :-), Spielzeug, Geschirr und Keramik (auch hübsch :-), mundgeblasene Glaskugeln (megahübsch :-!) und so weiter und so fort. Alles ziemlich brauchbar und das Meiste echt schön. Jede Menge Delikatessen gibt es natürlich auch, von unzähligen Käse- und Brotsorten, Süßigkeiten (herrliche Zimtschnecken!!!), bis zum Rentierschinken und süßem, wundervoll heißen Glogg. Den benötigt man bei diesen Temperaturen unbedingt! Bei Sonnenschein hat es minus drei Grad, fühlt sich aber noch um Einiges kälter an. Das erste, was man sinnvollerweise macht, um hier etwas länger überleben zu können ist, sich warme Boots mit dicker Sohle zu kaufen. Das ist schon mal die halbe Miete. Yes, we did it!

Plastikgeld ist doof

Für einen Rentierschinken reicht unser (Plastik-) Geld gerade noch. Bei der Rückfahrt mit der blauen Straßenbahn streikt leider auch die Bankomat Karte meiner Tochter. Unser 24 Stunden Ticket ist vor ca.15 Minuten erst ausgelaufen und der Schaffner läßt Milde vor Gerechtigkeit walten. Beim anschließenden Kaufversuch zweier Teetassen in einem Deko-Store müssen wir uns endgültig geschlagen geben, keine der beiden Karten funktioniert nun mehr. Bargeld? – leider nein, sorry, das  akzeptieren wir nicht. Ich hätte ja einen Bankomat suchen können…?! Nun eröffnet sich uns folgendes Problem: wie kommen wir zum Flughafen, ohne Geld?? Es ist Mittag und wir müssen an die Heimreise denken. Ich versuche, über die Banking App Geld von meinem Konto (mit Geld) auf mein anderes Konto (ohne Geld) zu transferieren, doch leider kann der Auftrag erst am nächsten Werktag (morgen) durchgeführt werden. Es ist Sonntag Mittag. Ich kontaktiere die Notfallnummr der Bank Austria. Der Telefonherr ist sehr nett, kann aber auch nicht helfen, außer uns den Tipp zu geben, die Zug-Fahrt zum Flugplatz vorab per online Banking zu bezahlen.

Zum Glück habe ich meine Visa Karte dabei, meine Tochter hat den Zahlungsmodus schnell herausgegoogelt. Blöd ist nur, dass ich meinen Visa Secure Code nicht weiß. “Ruf den Papa an, der muß uns jetzt mit seiner Visa Karte helfen.” “Sicher nicht! Das kommt gar nicht in Frage.” Schon oft hat mich mein Mann ermahnt, ich solle doch sorgfältiger mit Überweisungs-Limits und Kartencodes verfahren. Das wäre ein gefundenes Fressen für ihn und eine Schmach für mich. No go. Das Kind ruft seine Freundin an. Die hat zum Glück auch eine Visa Karte und rettet uns. Fffff…

Um etwa 14:00 sind wir am Flughafen. Meine Tochter vergißt in der Aufregung ihre Haube im Zug, aber hier ist es ja gücklicherweise nicht mehr nötig, eine aufzusetzen. Dafür die Maske. Soviele Menschen auf einem Haufen sind uns doch etwas unheimlich. Nach dem mühsamen security check überkommt uns der Hunger. Seit dem Frühstück haben wir nichts mehr gegessen. Bankomat funktioniert nicht. Ich kann in meiner Geldbörse noch heiße Euro 15.- sicher stellen. Damit gehen wir zum Wechselschalter. “Wir würden uns gern etwas zum Essen kaufen, unsere Karten funktionieren nicht mehr.” Ein mitleidiger Blick einer netten Dame mustert mich: “Is that all you have??? We take comission…” Ja, egal, ich werfe alles hinein. Sie händigt mir 144.- Schwedenkronen aus mit der Anmerkung – sie habe keine Wechsel-Gebühr genommen. Ist das nett, große Freude. Wir stürzen uns auf den nächsten Stand – zwei Tramezzini und eine Flasche Wasser gehen sich aus. Sorry, no cash. Meine Tochter ist genervt und hungerbedingt äußerst gereizt. Wir suchen unser Gate auf. Dort parke ich sie mit unserem Gepäck und mache mich nochmal auf Futtersuche. Es gelingt mir, einen Shop zu finden, der mein Papiergeld nimmt. Noch mal gut gegangen. Das nächste Mal nehme ich mindestens zwei Bankomat Karten, eine Kreditkarte UND Papiergeld mit. Zur Sicherheit. Und ich lerne davor alle Codes auswendig!

Renate Reich, 8. Dezember 2021

 

Ein Wochenende mal schnell über die Grenze hoppen, in unbekanntes Land. Warum waren wir in den letzen 20, 30 Jahren (sind wir wirklich schon soo alt??) eigentlich (fast) nie in Tschechien?? Ja, klar… in Prag. Das gilt aber kaum. Das ist nach der Öffnung ziemlich schnell “waltdisney-isiert” worden. Mac Donald’s an jeder Ecke und kein Platz bei Starbuck’s… Immerhin gibt’s noch (sehr) gutes Bier. Und schöne Bauten. Aber darüber will ich hier nicht schreiben. Other story.

Wir fahren dieses Wochenende nach Mutenice, in Südböhmen, gerade mal 120 km von Wien entfernt. Ein Katzensprung. Ich schaue entspannt aus dem Autofenster. Zahlreiche Windräder ziehen an mir vorüber. Es ist Ende Februar, eine stressige Woche ist vorüber, die Sonne scheint. Herrlich. Da fällt es mir plötzlich ein: “Ich habe meinen Reisepass vergessen!” Ich erwarte mir groß angelegte Schelte von meinem Mann, doch nach meiner Beichte kommt nur ein kurzer Kommentar seinerseits: ” Shit – Ich auch!”  Wenigstens bin ich nicht allein so blöd. Umkehren kommt für uns jetzt aber nicht mehr infrage. Schon zu weit weg von daheim. Wir riskieren es. Im schlimmsten Fall endet unser Ausflug im nödlichen Weinviertel. Auch ganz schön.

An der Grenze ist dann niemand. Es ist, als gäbe es keine. Nur die Straßen, die Landschaft und die Schilder sind ein wenig anders. All of a sudden: Tschechien. Wir fahren weiter. Noch mal Glück gehabt. unsere Reise führt über Lundenburg. Kennt das jemand? Alle Züge Richtung Norden/Osten gehen über diese Stadt. Sogar die Route nach Berlin. Breclav (alias Lundenburg) ist ein Must-Stop für Bahnreisende. Sehen wir uns hier mal um. Die Stadt ist im Krieg ziemlich zerbombt worden, leider. Das hinterläßt Platz für typische Ostblockästhetik: mit häßlichen Gebäuden aufgefüllte Leerstellen in einem durchaus hübschen kleinstädtischen Kontext. Man kann sich vorstellen, dass dies mal ein schmuckes Städtchen gewesen sein kann. Und sicherlich war.

Was uns besonders gefällt: das Schloss. Ungewöhnliche Form, ein Turm, Innenhof mit zahlreichen Arkaden. Angeblich irgendwann, als es in Mode war – im vorletzten Jahrhundert – wurde es zu einer künstlichen Ruine umgebaut. Ich empfinde es heute als ganz natürliche Ruine. Man könnte auch sagen, es ist ziemlich abgefuckt (falls man das wollte). Und ebenso alles drumherum. Wir haben ein wenig Sorge, uns von unserem in der Nähe geparkten Auto zu entfernen. Neben dem Schloß befindet sich ein definitiv natürlich “rui-nierter” Gebäudekomplex aus zerbröselndem Backstein und morschem Holz, der mit einem Band “abgesperrt” und – wenn auch stark einbruchsgefährdet – scheinbar von irgendjemand mit Hund bewohnt oder besetzt ist. Eine seltsame Gestalt hält Ausschau, als wir uns nähern. Ja, da ist jemand. Mit einem großen Tier, das auch laut bellen kann. Okay, wir haben verstanden. Also halten wir die Schloß(hof)besichtigung eher kurz, schiessen ein paar Fotos und parken unseren Wagen anschließend auf der anderen Seite des Flusses, entlang dessen wir nun einen kleinen Spaziergang wagen. Nicht allzuweit jedochs, in ständiger Hoffnung, unser exponiert stehendes Fahrzeug möge für niemanden allzu attraktiv sein, um es aufzubrechen.

Die Sonne scheint noch immer und es ist ungewöhnlich warm für diese Jahreszeit. Am Flußufer sind ein paar – fragile – Hängematten aufgespannt. Daneben ein Schild: “Benutzung bei nicht mehr als 120 Kilo erlaubt”. Ich überlege, wer mit diesem Gewicht am Körper überhaupt in der Lage wäre, sich in so was Wackeliges hinein zu schwingen. Mein Mann meint, es wäre zu bedenken, das manche Menschen vielleicht gern zu zweit darin liegen würden…  ja, das macht Sinn. Dann sind 120 Kilo schnell mal beisammen. Für mich sind diese großmaschig geknüpften Dinger der Inbegriff der “Sozialen Hängematte”. Wo sich allerdings schon der Fragilität wegen keiner reinlegen traut.

Gleich daneben finde ich eine traditionelle Holz-Schaukel, mit der man weit über den Fluß schwingen kann. Sie sieht einigermaßen vertrauenswürdig aus.Ich bin seit gefühlten 40 Jahren nicht mehr geschaukelt, irgendwann dachte ich, mir würde bestimmt dabei schlecht – aber heute ist es nicht so. Wie ein kleines Mädel genieße ich es, auf meinem angeketteten Holzsitz über das Wasser und wieder zurück zu schwingen. So nice. Ich atme die Frühlingsluft und fühle mich frei. Am Rückweg finde ich im Gelände einen alten hölzernen Hockey Schläger – ziemlich abgefuckt (falls man das so sagen wollte). Der kommt mit. Mein Souvenir von hier.

Als Hunger aufkommt, haben wir aber dann jedenfalls wirklich ein Problem. Kein Lokal ist zu finden, vor allem nicht in dem Teil der Stadt mit den hübschen Altbauten. Aber wir wandern weiter und haben irgendwann doch noch Glück: eine Pizzeria in einem der häßlichsten Ostblockbauten, erweist sich im Inneren als ganz hübsch und geschmackvoll. Ebenso die Pizza, wenn auch ziemlich fettig, dennoch lecker und vor allem sättigend. Gerettet! Mein Mann ist unerträglich wenn er zu hungrig ist.

Auf der Weiterfahrt schnappe ich viele optisch interessante Eindrücke der Stadt auf und finde, sie wäre noch mal einen Besuch wert. Mit dem Zug natürlich. Ich mag Industrieruinen und seltsame, originelle Plätze. Und schöne Natur. Breclav hat alles davon. Und ist sicher nicht überlaufen. Nach Mutenice sind es noch ca. 45 Minuten. Wir fahren durch hübsche Landschaften, Wälder, Felder und Seen, sehr abwechslungreich und kleinteilig, Wir kommen voran, wenngleich uns unser Navi immer wieder etwas seltsame Wege vorschlägt: Miniaturstraßen, die sich durch die Gegend schlängeln und ins Nirwana zu führen scheinen. Das erweist sich zwar als nicht zutreffend, denn wir landen immer wieder in belebten Gegenden, doch leider nicht bei unserem gebuchten Quartier. Ich habe, wie meistens ein Zimmer über Airbnb gebucht, diesmal in einem B&B mit Weinkeller und Wein-Verkostungsmöglichkeit. Laut internet sehr nett.

Unsere Herbergsuche bekommt nun etwas Schnitzeljagdartiges. Mein Handy ist wieder mal fast leer, das erweist sich in solchen Situationen als äußerst unpraktisch. Irgendwo im Koffer ist ein Ladekabel… Schlechter Platz, aber es ist nach einigem Herumwühlen verfügbar. Mein Mann grollt. Das Tom Tom Navi führt uns zuerst zu irgendeinem Haus im Dorf, Google Maps ist wieder anderer Meinung und die Airbnb App führt uns in eine Sackgasse bei einem Schulgelände. Völlig genervt rufe ich zum dritten Mal die Vermieterin an: “Wir finden es einfach nicht!” “Wo seid Ihr? Ich hole Euch…” “Bei der Schule” “Aha, welche? Wir haben mehrere Schulen…”

Schlußendlich findet sie uns und wir fahren ihr nach. Das Quartier befindet sich ganz auf der anderen Seite des Tals. Wollen die Gastgeber eigentlich nicht, dass man sie findet? Wir verstehen es irgendwie nicht… Egal, wir sind jetzt am richtigen Weg. Winzige, hübsch bemalte Häuschen ziehen sich den Hang hinauf, umgeben von kleinen Weingärten, in denen auch überall Mini-Häuschen bzw. Baracken stehen. Überall lacht ein Bacchus oder bunte Weintrauben von der Fassade, aber es ist alles so schnuckelig klein, so stelle ich mir Schlumpfhausen vor. Das Quartier ist schön, sauber, nicht ganz so klein (vor allem das Bad ist riesig) und wir freuen uns schon auf’s Weinverkosten am Abend. Dabei müssen wir feststellen, dass wir uns mit den Tschechen eindeutig nur im Biergeschmack völlig einig sind, was den Wein betrifft jedoch, merkt man, dass man sich jenseits der Grenze (des guten Geschmacks 😉 befindet. Naja, bei so einem süßen Dörfchen darf man sich halt einfach keinen sauren Wein erwarten…

21.März 2020

Mehrstimmiger Frauengesang dringt an mein Ohr und zieht mich magisch an… groovig, soulig und vor allem: sehr afrikanisch. Ich stehe unmittelbar vor der anglikanischen Kirche in Stone Town und lausche. Ich blicke auf einen stattlichen Bau, der an der Stelle errichtet wurde, wo (viel zu) viele Jahre der größte und fürchterlichste Markt auf diesem Globus beheimatet war: Zanzibars Hauptstadt Stone Town war DER Umschlagplatz für den Sklavenhandel in der ganzen Region, die “Ware” ging nach Asien, Europa und Amerika. Neben dem schmutzigen Geschäft mit Elfenbein aus dem Hinterland (dem allerschwärzesten Schwarz-Afrika) und dem Handel mit Gewürzen war dieser eine der größten Geldquellen für die Herrschenden: Sultane aus Oman und in der Folge diverse zwielichtige Gestalten hatten hier für viele Jahre ihr Hauptquartier aufgeschlagen und konnten fette Profite einfahren.

Wenn man es so betrachtet, macht es gar keine rechte Freude mehr, sich am Anblick all der prunkvollen Paläste und Bauten (bzw. was davon noch übrig ist) zu erfreuen, sind sie ja hauptsächlich auf Kosten von Menschen und deren unfassbarem Leid erbaut. Die Menschheit war irgendwie immer schon schlecht, denke ich mir – grausam, ungerecht, rücksichslos. Zumindest ein Teil der Menschheit. Ich betrete die Kammern, in denen die Sklaven “gelagert” wurden und auf ihren Verkauf warteten: finstere, enge in Stein gehauene “Ställe” mit in Boden oder Wände eingelassenen Metallringen, an denen sie festgekettet waren. Unglaublich. Da war ja der Geflügelmarkt im Vergleich dazu harmlos, obwohl ich dort wegen des grauenhaften Gestanks und dem Anblick lebender, eingesperrter Tiere schnell flüchten mußte.

Zum Glück gibt es den Sklavemarkt jetzt nicht mehr, seit rund 140 Jahren schon nicht. Schautafeln, Bilder und Texte erzählen viel davon und ich verbringe geraume Zeit damit, sie zu studieren. Irgendwann ist es genug. Grauslich. Ich mag nicht mehr. Ich mache mich wieder auf die Suche nach den singenden Frauen. Ich schleiche mich hinein in den Nebenraum der Kirche und sehe sie: schwarze Frauen, gemischten Alters, hier allesamt ohne Kopftuch – klaro, sind ja Christinnen. Leider singen sie jetzt nicht mehr, sondern eine von Ihnen betet etwas vor und die anderen wiederholen es. Call and response. So wie am Anfang – dem Ursprung des Blues-gesangs.

Ich mache gerade eine private Stadtführung in Stone Town und mein Guide ist etwas irritiert, denn die singenden Frauen im Nebentrakt der Kirche stehen eigentlich nicht auf seinem Programm. Aber er läßt mich gewähren und passt sogar auf meine Wasserflasche und das Säckchen mit den Cashew-Nüssen auf, während ich den Stimmen nachgehe.

Dann zeigt er mir die Kirche von innen. Was mir als erstes auffällt – und wiederum auf seinem Programm nicht vorfindbar – hier stehr ein fettes Schlagzeug neben dem Altar. So gehört sich das, denke ich mir. Hallelu-yeah! That’s Africa 🙂 Das Innere der Kirche ist auch irgendwie anders als bei uns in Europa, die Dekorationen rund um den Altar sind (eher billig wirkende) Reliefs aus Metall, die ich in dieser Art noch nie gesehen habe. Und die Säulen sind verkehrt herum eingebaut, mit dem Kapitell nach unten. LOL. Das war nicht beabsichtigt, ist einfach passiert, und gehört zu den skurilen Besonderheiten dieser Kirche. Aber wenigstens ist dieser Ort nun befreit: keine Sklaven mehr. Never ever.

Wir verlassen diese geschichtsträchtige Stätte und werfen uns wieder ins Gedränge. Die Sonne sticht von oben herab, zum Glück trage ich immer noch meinen Riesenhut. Wir schlängeln uns wieder durch gewundene Gassen, in den Hof eines sehr lauschigen, hübschen Restaurants, vorbei an Moscheen und unzähligen kunstvoll geschnitzten Holztüren zu einem kleinen Platz, mit aufgespannten Wimpeln und einem riesigen Holzmast, an dem ein altertümliches Telefon befestigt ist. Das sei der wichtigste Platz von Stone Town, hier trifft MAN sich. Auch: skuril.

Für den Besuch der Forodhani Gardens und des Forts bleibt nur wenig Zeit, das House Of Wonders, ein richtiger, großer Palast (das erste Gebäude mit “Wonders” – zu seiner Zeit, Ende des 19 Jh: einer WC-Toilette und Badewannen) befindet sich in Renovierung und ist leider gerade nicht zugänglich.

Ich mache mich frisch für mein heutiges Rooftop Dinner. 18:00 – nach der Dusche das Einsprühritual, von Kopf bis Fuß, mit stinkig-giftigem Anitimoskito-Schutz. Das Klima am Abend ist zwar traumhaft, aber das Gesprühe ist mega nervig. Ich freue mich schon ein bißchen wieder auf zu Hause. Das Haupthaar wird geknödelt, alles andere ist sinnlos. Styling ist hier echt schwer. Alles rinnt davon oder verpufft in der feuchten Luft. Egal. Ich steige wieder steile Treppen hinauf zu den obersten Terrassen meines edlen Hotels. Der Ausblick ist fantastisch. Der Himmel kohlrabenschwarz, sehr dramatisch. Ob das hält noch, heute den ganzen Abend?

Die Terrasse ist zweigeteilt und ich bekomme einen Tisch im kleinen Bereich. Es sitzen hier noch vier Pärchen, alle in unmittelbarer Nähe, ich bin die Einzige, die alleine hier diniert. Alsbald kommt man ins Gespräch, man sitzt ja so nahe beisammen. Neben mir ein britisches Paar, gerade angereist, schwer zu verstehen, aber nett, ein wenig älter als ich, daneben ein Barack Obama Klon mit ebensolcher Frau und Donnerstimme, eindrucksvoll – aus New York City bzw. aus Los Angeles, wo man derzeit wohnt; dann noch ein älteres Paar aus dem Oman – sie stammt eigentlich aus Irland und er ist Arzt in Pension, ursprünglich aus dem Irak, in Muskat wohnhaft. Ich führe viele interessante Gespräche und ich bin mir fast sicher, ich kommuniziere intensiver mit meinen Tischnachbarn weil ich alleine hier bin. Wenn man als Paar reist, verbringt man doch viel Zeit miteinander, in Zweisamkeit, auch viel davon zweisame Gesprächszeit. Mit einigen tausche ich die Adressen aus.. bin gespannt ob man jemals wieder voneinander hört… ?

Auf der Nebenterrasse gibt es Live Musik, Taraab – eine sehr arabisch anmutende musikalische Variante, Orient pur finde ich, auch die Sängerin gibt sich so, man könnte sie sich auch gut als Bauchtänzerin vorstellen, nur ist sie viel verhüllter. Ich bin sehr glücklich, aufgeregt, zufrieden… das Wetter kommt näher, es blitzt eindrucksvoll und es beginnt ein wenig zu regnen. Die “Boys” entrollen Schutzrollos gegen den Wind und den Regen; das Unwetter zieht aber bald von dannen und es wird wieder richtig unangenehm heiß.

Jetzt tut sich wieder das berühmte Dilemma auf: zur möglichen Kühlung Haut entblößen und den Moskitos zum Fraß darbieten? Oder gänzlich verhüllt und leidend vor sich hin schwitzen? Ich bin ja eingesprüht – und ich vertraue auf die Chemie. Und die gute Hoffnung. Oder den Glauben an das Gute. Zanzibar soll ja seit 2008 malariafrei sein.

Ich lasse den heutigen Tag Revue passieren. Ja, ich bin glücklich. Sehr. In jeder Hinsicht. Zum einen, dass ich heute Nacht einmal nicht von diesen fiesen Bettwanzen ausgesaugt werde und zum anderen, dass ich in den hiesigen Zeiten und an meinem Ort leben darf und nicht in Vorhergegangenen an diesem Ort hier: wahrscheinlich ausgesaugt von Sklavenhaltern oder sonstigem ekelhaften menschlichem Ungeziefer. Danke.

 

 

 

Mein erstes Hotel in Zanzibar hatte nebst bereits beschriebener  gravierender Mankos immerhin den Vorteil, ein halbwegs genießbares, und was die frischen Früchte und Eiergerichte betrifft, sogar ein leckeres Frühstück auf einer schönen Terrasse mit Meerblick zu bieten. In meiner Airbnb Wohnung im Herzen von Stone Town, in die ich nun übersiedelt bin, gibt es gar nix. Außer einer leicht nach Schimmel riechenden Küche mit Kühlschrank – ohne Inhalt. Und, besonders blöd: einige unliebsame, winzige Tierchen, die höchstwahrscheinlich aus dem ersten Hotel mit mir mitgereist sind: Bettwanzen, 1-2 mm groß, flach, blutsaugend. Verstecken sich in Kleidung, Koffern, Taschen, Rucksäcken und in allen Nischen, Spalten und sonstigen (Un)möglichkeiten. Zum Glück hatte ich wenigstens bis jetzt noch keinen Rattenbesuch, obwohl ich hier das Badezimmerfenster, geruchstechnisch bedingt, stets (äußerst dreist) weit offen lasse.

Ich begebe mich in Richtung Uferpromenade und konsumiere in einer wunderschön gelegenen Laube mit Meerblick ein geschmacklich sehr unscheinbares, oder treffender gesagt, geschmacklich völlig entbehrliches Frühstück. Zum Glück gibt es Ketchup und ich bin wenigstetns satt. “Entbehrlich” das passt auch sehr gut zum Beginn dieses Tages, an dem ich als “Killer Queen” zur Tat schreiten muß. Im Indian Shop an der Ecke kaufe ich eine Dose Insektenspray. Leider gibt es nur eine Größe. Und die ist groß. Damit kann man sicher drei Wohnungen samt ihrer (tierischen) Bewohner vergiften. Da es nicht viel kostet und vernünftige Alternativen nicht zur Verfügung stehen, kaufe ich es ein.

Zuerst dusche ich – für diese Stadt und ihre bescheidenen Wasserreserven – unverschämt lange und wasche sorgsam meine Haare. Dann wische ich meine sämtlichen Besitztümer mit glatter Oberfläche systematisch ab und deponiere sie auf der anderen Seite der Küche. Alle Kosmetikprodukte, alle Behältnisse, Säckchen, Tuben, Fläschchen, Döschen… verdammt noch mal, wieso habe ich eigentlich sooo viel Zeugs mit??!! Bei dieser feuchten Hitze haben Schminke & Hairstyle sowieso keinen Sinn, das sollte ich doch schon wissen! Jeglicher Verschönerungsversuch rinnt in kürzester Zeit davon, mit dem Haupthaar ist außer möglichst strengem Zusammenknödeln (oder vielleicht kunstvoll geflochtenem Afro-Hair-Styling) nichts anzufangen, es sei denn, man möchte aussehen wie Madame Mim, oder gerade frisch vom Blitz getroffen.

Das nimmt einige Zeit in Anspruch. Für eine Stadtführung habe ich jetzt ohnehin keinen Nerv. Ich gebe mich der Reinigung meiner Mitbringsel hin. Am Balkon wird gesprayt, sämtliche Stofftäschchen, meine Kopfhörer, alle Sachen mit rauher Oberfläche. Ich klaube ein oder zwei Bettwanzen von irgendwo herunter. Sind sie also tatsächlich mitgekommen…!!

Ich bin mega genervt. Diese Prozedur ist mühsam und zeitraubend, außerdem traue ich mich fast nicht mehr zu atmen, ich will das Gift ja nicht in meinen Lungen haben, auch wenn dieses hochgiftige Spray heimtückisch mit frischem Zitronenduft daherkommt. Irgendwann reicht es mir und ich beschließe, einige vergiftete Teile mit noch unbehandelten “lasagneartig” in meinem Koffer aufzuschichten und gut verschlossen, in guter Hoffnung sich selbst zu überlassen. Ruhet in Frieden. Und laßt mich bitte auch in Frieden, ihr Sauviecher!!!

Ich packe meine neue, gleich nach dem Frühstück gekaufte Korbtasche (zur Sicherheit auch mit Insektengift besprüht) mit dekontaminiertem Inhalt und mache mich auf den Weg zu meinem Quartier (in Quarantäne) für die heutige Nacht: 1001. Ein richtiges Prinzessinnenzimmer, wohl das edelste, das ich je bewohnen durfte. Im Hotel Emerson on Hurumzi. 1001. So viel in etwa kostet es auch. Naja… fast.

Wieder sind zahlreiche Stufen zu erklimmen, um in das prunkvolle Gemach zu gelangen. Schwindelfreiheit wäre zumindest kein Nachteil, die Stufen sind steil und eng. Sowas wäre bei uns daheim sicher nicht genehmigt vom Bauamt. Aber ich befinde mich auf Zanzibar. Da ist sowieso alles anders.

Lustvoll und vor allem sehr erleichtert werfe ich mich auf das inmitten des Zimmers stehende, große gold-rote Bett mit den vielen bestickten Polstern und genieße den Anblick. Ein großer, silberner Ventilator kreist ober mir, vor mir ein silbernes, orientalisches Teetischchen mit frischer Blumendekoration, hinter mir eine Badewanne mit allerlei handgeschöpften Seifen, frische Handtücher und noch mehr Blumen. Das Zimmer ist im obersten Teil des Gebäudes und relativ schmal, links und rechts stehen die Fensterreihen weit offen, man kann über die Stadt blicken, über die Dächer bis zum Meer. Alles natürlich sorgsam mit Fliegengittern und Moskitonetz versehen. Und Air Condition. So ist hier Luxus.

Ich habe Glück. Meine eigentlich für den Vormittag gebuchte (und von mir kurzfristig abgesagte) Stadführung kann jetzt stattfinden, der Guide ist flexibel bzw. er schickt einen Kollegen. Ist mir egal, ich hab ja jetzt Zeit.

Die proteindurchsetzte Gewand-lasagne reift in der Zwischenzeit bei wohlig warmen Temperaturen auf einem Balkon ein paar Straßen weiter entfernt und ich erhoffe mir inständigst, dass alle illegal mitgereisten Insekten nun auch bald in den siebenten Himmel gelangen mögen…

Wenig später treffe ich meinen gut gelaunten Guide in der Hotel-Lobby. Eine ganz private Stadtführung, auch das ist ein wenig Luxus am heutigen Tag. Stone Town ist berühmt für seine aus massivem Korrallengestein gebauten Häuser und die zahlreichen Paläste, vor allem aber für die vielen prunkvoll geschnitzten Holztüren und Balkone. Darum bin ich hier. Stone Town ist UNESCO Kulturerbe und Geburtsstadt von Freddie Mercury. Aber der kann gar nichts dafür. Initiator meiner Reise hierher war der Musiker Billy Joel, der mir seit Jahren mit dem Lied “Zanzibar” in den Ohren liegt: ” I got the old mans car, I got a Jazz guitar, I got a tab at Zanzibar.. Tonight that’s where I’ll be.” Und dann kommt das Trompetensolo. Legendär. Ich habe das immer schon geliebt. Vielleicht meine erste Begegnung mit Jazzmusik. Zumindest ein Grund meiner Präferenz für Trompeten und Flügelhörner und einem gewissen Hang zur “Saxophobie”.

Ich posiere in meinem seltsamen Outfit vor einer prunkvollen, riesigen Holztüre. Mein Guide, Yussuf macht Photos von mir mit meinem Handy. Ich trage einen riesigen Sonnenhut, weite Hosen und eine Bluse, darüber habe ich noch ein dünnes Strandkleid geworfen, damit meine Schultern bedeckt sind. So gehört sich das hier in der muslimischen Metropole von Zanzibar. Ich bin da sehr kompromissbereit, ich möche wirklich niemanden mit dem Anblick von bloßer Haut verstören, außerdem sind die dünnen Stoffschichten brauchbarer Mücken-, Fliegen- und Sonnenschutz.

Vorbei am Stone Town Coffee-House, dem zweiten Emerson Hotel, vielen weiteren prunkvollen Holztüren und ein paar Moscheen, gelangen wir durch zahlreich gewundene Gassen zum Markt. Dorthin hätte ich mich wahrscheinlioch alleine nicht hingetraut, sofern ich ihn überhaupt jemals gefunden hätte.

Ob ich ein Problem mit Fleisch bzw. dem Geruch von Fleich hätte? Naja, eigentlich nicht, sag ich, und ja, klar, ich will den Geflügel Markt sehen! Dann aber doch nur kurz. Rechts befinden sich die noch lebenden Tiere, in engen Käfigen, in dem anderen Raum linkerhand sind frisch geschlachtete und gerupfte Hühner aufgetürmt, es stinkt bestialisch. Ich beschließe, nie wieder Hühnchen zu essen, zumindest nicht in nächster Zeit

Der Rindfleisch Markt ist weniger spektakulär, zum einen olfaktorisch, zum Anderen durch die Abwesenheit ganzer, noch lebender Exemplare. Auch die Abwesenheit jeglicher Kühlmöglichkeit fällt auf. Ebenso am Fischmarkt. Der ist äußerst skuril, finde ich. Was da alles aus dem Meer geholt und zum Verzehr frei gegeben wird ist sehr interessant. Ich könnte stundenlang Fotos machen, doch auch hier will ich nicht aufdringlich sein und der Geruch ist auch eher einer, den man jetzt nicht unbedingt so lange bräuchte.

Wir stapfen durch aufgetürmte Mango, Papaya und Avocadoberge, riesige und lecker aussehende Früchte – ich möchte gerne eine kaufen, doch der Preis ist so unverschämt hoch, dass ich es sein lasse. Ein paar Cashew Nüsse kaufe ich dann doch. Als Snack für unterwegs. Und Wasser. Am Eingang zum ehemaligen Sklavenmarkt. Jetzt wird es heftig. Zeitgeschichte in Bildern. Zanzibar war einst der größte und wichtigste Umschlagplatz für die Ware Mensch.