Von fliegenden Bösewichten, unendlich langen Rolltreppen und dem Geheimnis des Taxifahrens

 

Das Boarding beginnt überpünktlich: Flughafen Wien, 11:00 – Aeroflot Flug nach St. Petersburg. Der Flug ist gut „gecastet“. Ich stehe in einer Reihe mit mindestens zehn potentiellen Darstellern eines James Bond Films: finsterer Blick, nicht sonderlich attraktiv, markante Nase, kräftiger Körperbau – der typische russische Bösewicht. Dazwischen verstreut einige Damen mit markanten, blonden einander sehr ähnlichen Kurzhaar-Frisuren, die meisten mit Pelzmütze oder -Kragen und mindestens einem Plastiksackerl.Ich schaue mich lieber nicht unter meinen Mitreisenden um, sonst komm ich noch auf blöde Gedanken… Als ich 1/2 Stunde vor Abflug schon im Flugzeug sitze, ist das eher ungewöhnlich, das findet auch mein Mann, der mir per Telefon noch eine gute Reise wünscht. Die potentiellen Bösewichte verhalten sich unauffällig, der eine neben mir schläft wie auf Knopfdruck ein, als das Flugzeug abhebt… die Durchsagen auf russisch beunruhigen mich wenig, da ich ohnehin kein Wort verstehe und der Tonfall der männlichen Stimme (vor Freundlichkeit nicht gerade strotzend) sehr sachlich und informativ gehalten ist (jedenfalls gibt es scheinbar eine Menge zu sagen) – ich fühle mich wie eine Kosmonautin auf dem Flug zu einer Raumstation, in äußerst wichtiger Mission. Als wir dann auch noch 30 Minuten früher als vorgesehen landen, und das Gepäck etwa 10 Minuten danach auf dem Fließband einfährt, fühle ich mich beinahe überrumpelt.Willkommen in St.Petersburg, meine Abholperson steht mit einem Riesenschild auf dem mein Name steht, in der ersten Reihe der Wartenden – ich kann gar nicht aus…
Dann, ganz plötzlich, macht die Zeit einen Sprung und es ist fast so, als würde man Bremsen quietschen hören – von jetzt an passiert alles irgendwie in Zeitlupe… Oksana (meine Abholperson) – ein junges Mädel mit hübscher, weißer flauschiger Echtpelzmütze telefoniert auf ihrem Handy (solche Modelle gibt es bei uns glaub ich nur mehr im Second Hand Handy Shop)… und das dauert… sie sagt, sie wartet auf den Fahrer… dann telefoniert sie etwa noch dreimal, dazwischen vergehen sicher 30 Minuten – wir konversieren einstweilen smalltalkend. Ich wundere mich, und frage mich, was da so schwierig sein kann…Es ist Februar, draussen hat es schätzungsweise minus 10 Grad, alle Einheimischen sind irgendwie in eine Art von Pelz gehüllt, die Sonne scheint diffus und irgendwo weit weg, das Flughafengebäude wirkt ein wenig verschlafen. Wir stehen in der Gegend rum und warten.Endlich kommt ein Taxi… ja, das ist unseres – bestätigt. sie. Ich verstehe immer noch nicht wirklich. In anderen Ländern geht man beim Flughafen raus und ruft sich ein Taxi… aber ich weiß schon – auch von Wien – das kann teuer werden – also lieber eines bestellen. Alles klar.
Wir fahren, die Sonne scheint jetzt in echt. Ich schaue aus dem Fenster und stelle fest, die Russen sind definitiv keine passionierten Autowäscher. Jedes zweite Auto ist von oben bis unten dermaßen mit Dreck versaut, dass man die Nummernschilder nicht lesen kann… ich frage mich ob das Berechnung ist??Was möchte ich denn gerne machen in St.Petersburg während meines Aufenthaltes werde ich gefragt. Ja, also unbedingt eine Bootsfahrt auf den zahlreichen Kanälen, das hab ich mir im Reisführer angeschaut – St. Petersburg ist ja das Venedig des Nordens, und eine Busfahrt durch die Stadt mit einem Hop on Hop Off Bus – falls es sowas gibt; das hat mir mein Reiseführer aber leider nicht verraten. Meine Reisebegleiterin lächelt freundlich und sieht mich mit einem Blick an, als wäre ich ein wenig geistig retardiert, nicht gänzlich ohne Mitleid.Dann, nach der nächsten Kurve, verstehe ich warum – wir queren den großen Fluß, die Newa: eine Mischung aus dem Gefühl unsagbarer Peinlichkeit und Ärger breitet sich in mir aus: der Fluß ist knallhart und bretteleben zugefroren, ganz in weiß, hübsch zugeschneit. Nix mit Bootfahren. Sicher nicht. So lange ich hier bin. Ich schlucke und sage zunächst einmal nichts mehr. Eislaufschuhe hätte ich mitbringen sollen…
Nach einer sehr, sehr, sehr langen Fahrt kommen wir endlich im Hotel an. Das sP Hotel – ein Plattenbau aus den 70igern, architektonisch schlicht, streng und betongrau – mit einem Wort: häßlich, aber das ist wohl eher untertrieben. Ich komme zur Rezeption. Dort fristet Ende Februar fröhlich eine Plastik-Weihnachtsdekoration ihr – meines Erachtens eher unberechtigtes Dasein; aber vielleicht ist hier Weihnahten das ganze Jahr – wer weiß wann und ob dieser Fluß überhaupt jemals auftaut??Die Rezeptionistinnen, drei an der Zahl, gut gekleidet, gut frisiert und noch besser, aber vor allem sehr intensiv geschminkt – versuchen, mich zuerst einmal zu ignorieren; kein Blickkontakt, kein Garnix; geschäftig tippen sie und wuseln hin und her, ich fühle mich ziemlich überflüssig. Nach etwa einer gefühlten halben Stunde fällt es einer der Damen scheinbar aus heiterem Himmel ein, mich zu beachten, freundlich, mit erkennbarem Englisch. Mein Name ist so und so ich habe ein Zimmer von so und so reserviert bekommen und ich wäre jetzt bitte schön da, um einzuchecken!! Ja, sehr gerne, tipp, check, aha, okay, ja, sehr gerne, bitte eine Augenblich warten…
Ich lasse mich in der Lounge nieder. Meine Reisebegleiterin ist immer noch da, sie scheint das zu kennen; wir plaudern über dies und das, ich erfahre, dass sie Japa-nologie und Kunstgeschichte studiert, und sie bietet mir eine Privatführung durch die Kunstsammlung „Eremitage“  an – ja, klingt gut! Auf einem Bildschirm sehe ich in Schleife die weissen Nächte und Sehenswürdigkeiten von SP – eh schön!Endlich heißt es „your room is ready!“ Ich sehe schon die Sonne untergehen… immerhin war ich schon zu Mittag da, und habe den Nachmittag äußerst sinvoll verbracht – am Flughafen, im Taxi und in der Hotel Lobby. Meine Laune ist im Keller, doch dann gesellt sich mit dem Rubel Problem noch eine tiefere Etage dazu – ich möchte noch gerne in die City – aber ohne Rubel geht gar nix. Um die Ecke wäre eine Wechselstube heißt es, die suchen wir auch auf. Um die Ecke ist um die zehn Ecken, aber egal, man ist hier hauptsächlich damit beschäftigt, nicht auszurutschen, alles ist gefroren und das Eis macht interessante Hügel auf Gehfächen, die als solche teilweise fast nicht erkennbar sind. Wieder vermisse ich ein wenig meine Eislaufschuhe.Es ist vollkommen dunkel, als ich endlich – oh Jubel voller Rubel – meine Kemenate beziehen kann. Das Zimmer ist klein und schlicht, hat aber einen großartigen Ausblick auf die Newa und das gegenüberligende, prunkvoll beleuchtete Ufer – ein Lichtblick 🙂Und jetzt ab in die City – Oksana zeigt mir den Weg zur U-Bahn. Nach dem mittlerweile schon bekannten Eisrutenspießlauf geht es in die Tiefe. Aber sowas von. So eine Rolltreppe habe ich überhaupt noch nie gesehen. Ich glaube, sie führt direkt zum Mittelpunkt der Erde. Denn von oben kann man das Ende der Treppe gar nicht sehen!! Ich bin beeindruckt! Das Sumpfland ist dafür verantwortlich erklärt mir die Allwissende, daher mußte die U-Bahn in den 1890ern so tief gebaut werden. Ein architektonisches Juwel, by the way! Kronleuchter, Marmorböden, Stuck und Statuen, rollende Holztreppen, und alles pipifein geputzt. Am Bahnsteig fährt sogar ein Boden-Putzwagen auf und ab, so einen sieht man sonst nur in Supermärkten oder besseren Hotels. Ich bin begeistert. Kein Dreck Lulu und Taubenschiss wie in Wien. Keine Sandler, keine Junkies – wo immer die auch sind – hier sind sie jedenfalls nicht.

Wir verabschieden uns, sie fährt nach Hause in die andere Richtung – ich fahre in die City. Ich steige aus und bin kurz darauf in der Prunkstrasse SP – alles wundervoll und märchenhaft beleuchtet. Man muß schon bedenken, dass hier im hohen Norden die Nächte zeitweise lang sind und daher die Beleuchtungskultur der Gebäude einen anderen Stellenwert hat.

In einem Einkaufszentrum, das in den Arkaden eines sehr alten, schönen Gebäudes beheimatet ist, finden sich allerlei Skurillitäten: Babuschkas in allen Größen, Formen und Ethnien, Leckereien, bunt bemalte Eier, Tiere und natürlich alles was man unter Kunst und Kitsch einordnen kann. Ich fotografiere so lange bis mein Hunger unerträglich wird und lasse mich dann in einem Lokal nieder, das mit wunderbaren Palatschinken mit Kaviar und roten Rüben wirbt. Das will ich. Es schmeckt großartig und ich fühle mich weit weg von zu Hause und aber sehr gut“

 

Endlich. Es ist zwei Uhr früh. Der letzte Hahnenschrei ist soeben verklungen, wir können beruhigt einschlafen. Wenn nicht wieder irgendwo ein Hund zu bellen beginnt, oder laut klappernd eine Pferdekutsche vorbeifährt, oder ein antiquiertes Motorrad. Ich wünsche mir zumindest ein wenig Schlaf, so etwa ein, zwei Stunden? Dann beginnt sowieso der Hahn wieder. Erst einer, dann alle anderen. Und der singende Brotverkäufer macht seine erste Runde durch die noch finstere Straße: „Pan, Pan Criollo“ schreit er mit dem Federvieh um die Wette, stimmlich mindestens ebenso begabt wie die hier allseits beliebten Haustiere: in Trinidad haben alle einen Vogel! Und wer bitte kauft überhaupt um diese Zeit schon Brot?!

Trinidad, eine Stadt an der kubanischen Karibikküste im Süden der Insel ist nichts für akustisch sensible Menschen. Mein Partner, ein Musiker mit feinen Ohren, hat glücklicherweise einen ausreichenden Vorrat an Ohropax mitgebracht. Unsere 13-jährige Tochter schläft zum Glück noch überall gut, egal wo und wie. Mich selbst nervt der nächtliche Lärm zwar auch, aber als Kind des Orients kann ich mich nach einer gewissen Zeit daran gewöhnen. Der Schrei des Muezzin in der Morgendämmerung gehört zu meinen frühesten Erinnerungen an meine Kindheit in Kabul, wo ich gelernt habe, akustisch Unliebsames bei Bedarf auszublenden.

Am nächsten Morgen müssen wir trotz Unausgeschlafenheit jedenfalls früh aus den Federn. Unsere Pferdekutsche, eine gummibereifte, dachlose Pritsche mit hölzerner Sitzbank, wartet bereits auf uns, denn in der kühlen Morgenfrische reist es sich bequemer. Ein gut gelaunter, dunkelhäutiger Mann in roten Hosen, kariertem Hemd, breitem Lächeln und Cowboyhut begrüßt uns in passablem Englisch und weist uns unseren Platz zu. Platz ist übertrieben, aber es geht sich irgendwie aus, Po an Po zu viert auf der engen, harten Bank.

Wir verlassen das Dorf landeinwärts in Richtung Escambray Gebirge, müssen aber nach kurzer Zeit windigen, frischen Fahrgenusses leider schon wieder aussteigen. Die Straße führt steil bergab und die Kutsche wäre mit unserem Gewicht nicht zu bremsen, also heißt es jetzt, ein Weilchen zu Fuß laufen.

In der Talsohle dürfen wir wieder einsteigen und es geht hurtig dahin. Unser Reiseführer plaudert ausgiebig freundlich mit uns und erzählt von ehemaligen Zuckerrohrplantagen, Sklaven und Dampfeisenbahnen, die es hier einmal gab. Über uns kreisen große Raubvögel, die man sehr oft und auf der ganzen Insel sieht, ebenso wie die seltsamen weißen, storchartigen Stelzvögel, die immer in Begleitung eines befreundeten Rindes zu sein scheinen. Der Mann mit dem Cowboyhut gibt erstaunlich fachkundige Antworten auf meine zahlreichen naturkundlichen Fragen und nach einer Weile stellt es sich heraus: er ist Tierarzt. Eigentlich. Ausgebildeter Tierarzt. Nämlich. Ja, in Kuba studieren, das ist einfach, es kostet auch nichts. Nur den Beruf ausüben, das ist eine andere Sache. Das macht er jetzt nicht mehr, es sei denn, ein Freund braucht Hilfe bei der Geburt eines Kalbes, oder so. Aber mit den Touristen und seiner Kutsche verdient er jetzt ein Vielfaches seines staatlichen Tierarztgehaltes.

Und dann, aus heiterem Himmel, ganz plötzlich, passiert etwas, das ich zwar kommen sehe, aber nicht abwenden kann. Also, ich habe einfach zu wenig Zeit, um rechtzeitig angemessen zu reagieren: das Pferd, ein brauner, stattlicher Hengst mit beachtlichem Hinterteil, hebt in vollem Lauf seinen Schwanz in die Höhe und es ergießt sich eine braune, gut geformte Masse auf das Trittbrett und auf meine Turnschuhe. Converse. Dunkelblau. Vorher jedenfalls. Mit Blättern und Taschentüchern beseitige ich notdürftig das Debakel, unser Reiseleiter vergrößert den Abstand zwischen Pferd und Kutsche und schon geht es weiter. “Sorry, Lady.”

Nach etwa einer halben Stunde weiteren fröhlichen Fahrens, Plaudens und Staunens parken wir unser Gefährt unter einem riesigen Mangobaum. Wir machen Rast auf einem Bauernhof, der möglicherweise aus dem vorigen oder vielleicht sogar aus dem vorvorigen Jahrhundert zu stammen scheint. Ein paar selbst zusammengezimmerte Tische, Baumstämme als Sitze, darüber ein Strohdach, und fertig ist die Raststation. Zur Begrüßung gibt es frisch gepreßten Zuckerrohrsaft mit Zitrone, sehr süß, nicht unteuer, aber köstlich, und ein Bierchen für unseren Herrn Doktor.

Der Wirt, ein geborenes Fotomodell, gesellt sich zu uns. Ein vor sehr langer Zeit geborenes Fotomodell zwar, aber durchaus eine Erscheinung, und sehr typisch für Kuba: dunkelhäutig, in Jeans und kariertem Hemd, mit Hut und Gitarre, einem charmanten Lächeln, nahezu zahnlos. Im Reiseführer heißt es, auf dieser Insel würde Spanisch geprochen, aber davon merke ich hier kaum etwas. Dieser Kauderwelsch ist mir neu und vor allem komplett unverständlich. Egal, der alte Mann lacht, was das Zeug hält und hat eine Freude, die ansteckend wirkt. Als er sich dann anschickt, ein Lied zum Besten zu geben, bin ich wirklich restlos beeindruckt: Troubadix hätte es nicht besser machen können. Die Gitarre vollkommen verstimmt, die Melodie und der Rhythmus vollkommen zusammenhanglos. Entweder er hat Arnold Schönberg und die Neutöner studiert oder, was ich eher vermute, er war eigentlich vollkommen taub.

Bisher haben wir in Kuba ausschließlich exzellente, gekonnt dargebotene Live-Musk gehört, in jedem einzelnen Lokal. Das hier bleibt mir aber in besonderer Erinnerung, wirklich skuril und absolut einzigartig. Nach dieser kulturellen Bereicherung – und das meine ich nicht abwertend – wollen wir unsere Reise fortsetzen. Vorher noch mal kurz austreten und dann geht es weiter…

Der Weg zur „Toilette“ führt durch das Tiergehege. Ich stapfe durch ein freudiges Durcheinander an allem, was man auf einem Bauernhof traditionellerweise zu finden vermag, zuzüglich einer Riesenratte in einem leider sehr klein geratenen Käfig. Ich erinnere mich, darüber gelesen zu haben, dass dieses Tier mittlerweile eine vom Aussterben bedrohte Art ist, die einst in großer Zahl vorhanden, den Eingeborenen mangels anderer auf der Insel endemischer Säugetierarten als schmackhafte Nahrung diente. Das letzte seiner Art? Mitleidig wende ich meinen Blick auf die andere Seite.

Eine Frau in Gummistiefeln, mit buntem Tuch auf dem Kopf kommt mit einem Kübel und schüttet etwas Unerkennbares in einen der Länge nach aufgeschlitzten Autoreifen. Allgemeine Fütterung. Danach geht alles unheimlich schnell. Eine große Menge Hühner eilt herbei, gefolgt von ein paar Gänsen und Enten, etwa fünf Ferkel stossen grunzend dazu, stellen sich sofort laut schmatzend mitten in den aufgeschlitzten Reifen und verdrängen einen Großteil der Hühner, zwei Hunde versuchen auch ein paar Bissen zu erhaschen, während die drei Katzen das Freßspektakel aus einiger Entfernung zu überwachen scheinen. Ich frage mich, ob bei diesem Anblick das Herz eines europäischen Biobauern vor Freude hüpfen oder eher stehen bleiben würde? Ich bin mir nicht ganz sicher.

Etwa eine Stunde später schwimmen wir in einem kleinen Naturbecken unter einem Wasserfall im Regenwald. Wären nicht noch so viele andere Touristen hier, könnte man es als echtes kleines Stück vom Paradies bezeichnen. Auf dem Weg zurück zu unserem Gefährt, das wir unter dem mächtigem Blätterdach eines Mangobaumes zurückgelassen hatten, gibt es noch ein Tässchen Urwald Kaffee: pechschwarze Bohnen, im hölzernen Mörser zerstampft, in einem verbeulten, fragilen Alukännchen aufgekocht und durch einen sehr betagt aussehenden Stoff-Filter gegossen. Der hatte in seinem früheren Leben wahrscheinlich als Socke gedient. Also ziemlich sicher sogar. Ein für Kaffehaus-Hygiene zuständiger Beamter (aus Nordamerika z.B.) wäre wohl beim bloßen Anblicks dieses Cafes verstorben, wir staunen und genießen das edle, schwarze und äußerst schmackhafte Getränk, lauschen den zarten Geräuschen des Waldes und dem Lachen der miteinander scherzenden Kutscher.

20. Dezember 2014

Havanna – Vor einer Woche waren wir noch mitten drin. Dort ist es nicht nur laut, es stinkt auch gewaltig. Als wir an einer belebten Straßenkreuzung eine halbe Stunde auf den Hop On Hop Off Bus warten mußten, spürte ich schon leichte Übelkeit in mir aufsteigen. Die zahlreichen Oldtimer sind zwar wunderschön anzusehen, entpuppen sich aber als Lärm- und Dreckschleudern sondergleichen. Die meisten Autos werden als Taxis verwendet und sind mehr oder weniger gut gepflegt. Bei manchen hat man jedoch das Gefühl, bei der nächsten Bodenwelle würden sich alle Blechteile voneinander verabschieden. Es klappert und röhrt, dass es eine Freude ist. Aber, und das ist jetzt mal schon supertoll – man kann in der ersten Reihe zu dritt nebeneinander sitzen, ohne angeschnallt sein zu müssen! Gurte gibt es sowieso keine, Nackenstützen schon gar nicht, und oft auch keine (bzw. keine funktionierenden) Blinker. Aber das macht nichts, denn kubanische Autofenster sind prinzipiell immer offen und man kann ja auch mit der Hand blinken – bzw. mit dem ausgestreckten Arm – direkt aus dem Fenster nach links, oder über das Dach drüber nach rechts.

Wer in Kuba mit dem Auto fährt oder mitfährt, braucht jedenfalls ein starkes Nervenkostüm und verpflichtend !!! eine Auslands- Krankenversicherung. Abgesehen von der bisweilen fraglichen Verkehrstüchtigkeit der Fahrzeuge gibt es noch einige andere Faktoren, die einem in Europa lebenden Menschen durchaus Sorgen bereiten könnten. Der Zustand der Straßen beispielsweise. Riesige Schlaglöcher auf langen Geraden, die ein Tourist, der selbst ein Auto lenkt, niemals erahnen könnte, das selbstbewußte Tempo der Fahrer, das auch bei Dunkelheit oder eingeschränkter Sicht nicht reduziert wird, oder das Vorhandensein anderer Verkehrsteilnehmer, die sich zeit- und lichtmäßig in einem Paralleluniversum zu bewegen scheinen.

Radfahrer etwa, die oft paarweise auf einem Gefährt und nicht selten in die Gegenrichtung unterwegs sind oder pittoreske Pferdegespanne, Ochsenkarren, museale Mopeds, stinkende Traktoren, querende Rinder- oder Ziegenherden und vor allem – zahlreiche Fußgänger. Natürlich alle unbeleuchtet und vorzugsweise auf der Autobahn. Des Weiteren, und das habe ich dort durchaus noch als zarte Steigerung empfunden, gibt es immer wieder unvermittelt von links oder rechts „ins Bild“ tretende oder hüpfende Menschen, die entweder mitfahren wollen, oder diverse Waren wie Kartoffel oder Orangen zum Verkauf anbieten! Falls sie keine Waren dabei haben, wollen sie einfach mitfahren. Autostoppen ist für viele Kubaner die einzige Möglichkeit von A nach B zu kommen. Fahrzeuge besitzen sie selbst nicht, Busse sind entweder überfüllt, zu teuer oder sie fahren erst gar nicht, und ein Bahnticket ist so ähnlich wie ein Lottoschein: ob der Zug sich in die richtige Richtung bewegt und ob bzw. wann er ankommt ist gar nicht oder bestenfalls mit Hilfe einer Kristallkugel vorhersehbar. Ich jedenfalls halte es nach einer Weile für besser, beim (Mit-)Fahren nur mehr aus dem Seitenfenster zu schauen und die wunderschöne Landschaft zu betrachten… (uuuuahhh!). Computerspiele braucht man hier definitiv keine, denn alle Hindernisse sind ganz echt…!!

Wir sind auf dem Weg zurück in den Norden. Vor einigen Tagen haben wir wieder ein Taxi bestellt, das uns von Trinidad, dem südlichstem Punkt unserer Reise in Richtung unseres Abflughafens bringen soll. Diesmal ist das Taxi jedoch klein, sehr klein. Drei Personen, drei Koffer, ein Fahrer und ein Fahrzeug in der Größe eines Smart. Oder Mini. Oder Fiat Panda. Jedenfalls nicht das, was wir uns für eine 440km lange Fahrt erwartet haben! Und bitte, wohin mit den Koffern? Der Chauffeur ist  zielstrebig, unbeirrt und gut ausgerüstet: mit einem langen Seil. Flink hievt er, ehe wir es uns anders überlegen können, zwei unserer Koffer auf’s Dach des Gefährts. Den dritten quetscht er in den Kofferraum. Los geht’s.

Auf dem Weg durch eine große landwirtschaftlich genutzte Ebene rast er in abenteuerlicher Geschwindigkeit auf eine querende Ziegenherde zu, die er wie von Zauberhand hupend von der Straße fegt. Die nächste Herde hat anscheinend keine so guten Ohren und bewegt sich nicht vom Fleck. Erstaunlicherweise gelingt es ihm aber, das Fahrzeug rechtzeitig zum Stillstand zu bringen. Ich atme tief aus und schaue aus dem Seitenfenster.

Als ich zur Abwechslung wieder einmal meinen Kopf nach vorne bewege und durch die Windschutzscheibe blicke, sehe ich, dass die Landstraße, auf der wir uns befinden, zeitweilig nur einspurig befahrbar ist. Eine der beiden Spuren ist komplett bedeckt mit irgendwelchen Körnern, die von – meiner Ansicht nach sehr mutigen – Menschen mit einem Rechen ausgebreitet werden, während wir mit etwa 100 kmh vorbeibrausen. Der Taxifahrer klärt mich auf: diese “mutigen” Menschen sind ganz normale Bauern, die hier ihren frisch geernteten Reis zum Trocknen auf der Straße auslegen. Kommt uns ein Fahrzeug entgegen, weichen wir aus und fahren einfach über den Reis drüber. Aha! Praktisch ist das. Optimale Raumnutzung. Mir wird schlagartig klar, warum in Kuba Reis meistens mit schwarzen Bohnen vermischt gegessen wird. Mhm. Lecker.

Cardenas, die “Stadt der Kutschen”, das Ziel unserer heutigen Etappe ist erreicht. Ich bin heilfroh, unbeschadet aus dem Auto auszusteigen und dass mein Koffer auf dem Dach die lange Reise scheinbar auch gut überstanden hat. Wie er jetzt aussieht, weiß ich noch nicht. Jedenfalls ist er noch immer da, das ist beruhigend. Wir übernachten in einem Privatquartier, das irgendjemand von irgendjemand empfohlen bekommen hat. Drei Sterne bekommt es keine, sicher auch nicht zwei. Wir sind fix und fertig von der langen Fahrt und nur für eine Nacht hier, also egal.

Wir sind sehr hungrig, Unser Gastgeber bringt uns, ja zerrt uns quasi zielstrebig in ein Lokal. Subtext: “Es gibt hier nur dieses eine Lokal und das ist supertoll (und gehört meinem Freund) und ihr blöden Touristen, ihr – wagt es ja nicht, woanders hinzugehen!” Wir landen in einem Pseudo-Hardrockcafe mit heftiger Zwangsbeschallung (jau, wir haben super Musik hier!), die nur ungern und nach mehrmaligem Bitten leiser gedreht wird. Wir sind die einzigen Gäste auf der oberen Terrasse. Unten gibt es ein paar Stammgäste. Nach einem mittelmäßigen Essen bei Diskolicht fallen wir bald erschöpft ins Bett.

Das Haus liegt an einer stark befahrenen Straße. Wir hören hier das erweiterte Spektrum bisher gewohnter nächtlicher kubanischer Lautmalerei: klappernde Pferdehufe, quietschende Kutschenräder, knatternde Oldtimer, röhrende Mopeds, sprechende, lachende, rufende Menschen, Musik, eine nahe Garage (Werkstatt?)… Beim Versuch, das Fenster zu schließen, müssen wir feststellen, dass es gar keines gibt. Jedenfalls nichts, was man hätte schließen können. Im Fensterrahmen befinden sich nur Holzlamellen, weiß gestrichen, sehr hübsch anzusehen. Die Frischluftversorgung für die Nacht ist garantiert! Mein Reisepartner packt wieder mal die Ohropax aus, ich mache die Augen zu, höre abwechselnd Autos vorbeidröhnen, Menschen schwatzen und Pferdehufe klappern und beginne mich nach dem Gesang des Hahnes und des Brotverkäufers in Trinidad zu sehnen…

31. Jänner 2015