Ich sitze auf der Dachterrasse eines sehr edlen Lokals in Stone Town, Zanzibar, Tansania, Afrika. Wieder einmal bin ich der einzige Gast. Um in den Genuß dieses herrlichen Ausblicks über die Dächer der Stadt, das Meer und die untergehende Sonne zu erhaschen, bin ich zahlreiche Stufen hinaufgestiegen. Das hat mich viel Zeit gekostet. Weniger wegen der Zahl der Stufen, sondern wegen der Zahl der Fotos, die ich immer wieder zwischendurch machen mußte. Das ist ein alter Palast, sorgsam mit Liebe und Geschmack renoviert, ein Gebäude aus 1001 Nacht: das Jafari House, Hotel und Spa, mit Restaurant auf dem Dach. Ich nenne es  das “Plötzlich Prinzessin-Lokal”. Alles ist in safrangelb, mahagonibraun karmesinrot und gold gehalten, überall gibt es schöne Sessel, Vasen, Statuen, Pflanzen und feinste Holzschnitzereien. Mein Herz hüpft. Meine Haut pickt.

Ich bin gut imprägniert, um 18:00 halte ich nun täglich mein Ganzköpereinsprühritual ab. No Bite mit Deet, es stinkt und klebt und ich hoffe inständig, dass es auch wirklich die bösen Mücken abhält, vor allem die gefährlichen mit der Malaria. Zanzibar ist zwar angeblich seit 2008 malariafrei, aber man weiß ja nie… das Tropeninstitut hat mir das Sprühen empfohlen und die Mitnahme eines Standby Malaria Medikaments. “No na!”, sonst würden sie ja auch nix an mir verdienen. Ich bin jedenfalls gewappnet. Leider hilft diese Mittel nicht gegen Bettwanzen, aber das ist eine andere Geschichte, auch wenn sie hier alsbald ihre Fortsetzung findet.

Ein junger Mann fragt mich in ganz passablem Englisch, was ich denn trinken möchte. Ich frage mich das auch. Am Liebsten einen kühlen Prosecco oder Aperol Sprizz mit ganz vielen Eiswürfeln. Zum Sonnenuntergang. Aber das mit den Eiswürfeln ist nicht so empfehelnswert hier, habe ich gelesen. Wegen dem “flotten Otto” (so hat es eine deutsche Urlauberin genannt, die ich später kennen lernen sollte), dem Durchfall, der oft bei Europäern auftritt, die das afrikanische Wasser, wenngleich auch schon mal durchgefroren, nicht vertragen.

Ich bestelle ein Soda und ein Glas Weißwein. Und einen Snack, Samosas, gefüllte Teigtaschen, die ich schon aus La Reunion kenne. Ich beginne, Notizen in mein Tagebuch zu machen. Der junge Mann will plaudern. Ich bin ja der einzige Gast hier. Fad sonst. Also plaudern wir. Als er mir dann die Samosas bringt, will ich einfach nur mal kauen und nicht mit vollem Mund reden. Ich erbitte mir eine Essenspause. Leicht eingschnappt zieht er von dannen.

Der Weißwein ist schon bald ziemlich uncool. Ich überlege mir, eine Flasche zu bestellen, die könnte man ja mit Eiswürfeln im Kübel kühlen, und den Rest nehm ich mit nach Hause, wenn das geht?! Ich verhandle mit dem Kellner, der dieses Vorhaben (nach vorherigem Nachfragen) für machbar befindet. Er bringt mir die Flasche Wein. Eiswürfel muß er erst noch einkaufen gehen. Echt jetzt…

Ich schreibe in mein Tagebuch. Erst kurz zuvor hatte ich meine Airbnb Vermieterin davon informiert, dass in dem Hotelzimmer, aus dem ich gerade komme, Bettwanzen waren. Zur Sicherheit. Ihre Begeisterung hielt sich in Grenzen. Obwohl, das ist stark untertrieben. Sie erklärte diesen Umstand zum Größt-Anzunehmenden-Unfall, zum Super GAU für jeden Vermieter und machte sich sofort daran, mir einen Kammerjäger vorbeizuschicken. Das wiederum stieß auf wenig Begeisterung meinerseits. In einem frisch vergifteten Zimmer schlafen, das geht doch einfach gar nicht.

Also sitze ich hier oben und grüble. Der Kellner kommt tatsächlich mit einem Kübel voll Eis. Ich bin begeistert. Dann erzählt er mir, er sei “born and raised on Tomato Island”. Zu erwähnen ist, das er ein Bürscherl von etwa 22 Jahren ist und ich in den Fünfzigern angelangt. Ob ich denn nicht Lust hätte, mit ihm morgen nach “Tomato Island” zu reisen..? Haha, wie in 1001 Nacht, ein Märchenerzähler steht vor mir. Ich habe noch nie was von einem “Tomato Island” gehört (als ich das interessehalber zu Hause google, finde ich nur eines in Australien). Dankend lehne ich ab. Er zieht wieder von dannen, diesmal vielleicht noch ein wenig mehr eingeschnappt.

Ich beschließe, mit meiner Flasche Wein nach Hause zu gehen und dort weiter zu grübeln. Dort habe ich auch internet. Das könnte behilflich sein. An der Hotelrezeption werde ich aufgehalten. Ich hätte nicht bezahlt, behauptet man. Was… jetzt? Klar habe ich, sogar 50.000.- TSH. Die Rezeptionistin telefoniert mit dem Tomato Boy, der die Rechnung hinunter bringt. Da steht 56.000.- THS. Gut, dann sollen sie mal leserlich schreiben. Ich bezahle den Rest, Tomato Boy ist beleidigt und schaut mich gar nicht mehr an.

Zu Hause angelangt, geselle ich mich zu meinen Sachen auf dem Balkon. Ich habe auf Anweisung meiner Vermieterin alle bereits ausgepackten Kleidungsstücke wieder eingesammelt, in den Koffer gesteckt und auf dem Balkon deponiert. Ich soll morgen unbedingt gleich Insekten-Spray kaufen und alles einsprühen. Wir chatten online. Leider ist der Kammerjäger nicht auffindbar (hat er sich vielleicht selbst vergiftet? 😉 Das ist eben Zanzibar. Aber sie kann mir die Putzfrau schicken und wir waschen alle meine Sachen… Ich hatte eigentlich andere Pläne für den nächsten Tag. Nämlich eine Stadtführung. Die habe ich sogar schon gebucht. Ich hole mein Päckchen Zigaretten aus dem Rucksack. Das habe ich mir extra für die Reise gekauft, sonst rauche ich nicht oder nur sehr selten. Jetzt verlangen meine Nerven nach Nikotin. Der Rauch soll außerdem helfen, (gefährliche?) Moskitos zu vertreiben.

Nach der ersten (oder zweiten?) Zigarette und einer halben Flasche Wein fasse ich den Beschluß, hier auszuziehen. Schließlich will ich das Getier definitiv los sein und endlich mal wieder biß- und juckfrei leben. Ich buche ein Zimmer im teuersten Hotel der Stadt, in der Annahme, dass es dort mit Sicherheit tierfrei sei. Ich habe außerdem für den kommenden Abend dort ein Rooftop Dinner für mich gebucht, im “Emerson on Hurumzi” ein Highlight in Stone Town, das man/frau nicht versäumen sollte, laut einer Empfehlung einer weitgereisten Kollegin auf facebook. Was mich das jetzt kostet ist mir in diesem Augenblick (fast) egal. Man/frau muß Prioritäten setzen.

Ich schlafe wieder in voller Montur, gänzlich bekleidet, mit Jeans, Socken und Sweater, nur diesmal leider ohne Vorhandensein einer Klimaanlage. Es hat in etwa 30 Grad. Vielleicht auch mehr. Das Mückenschutzmittel verklebt sich mit dem Schweiß auf meiner Haut. Das Moskitonetz scheint dicht zu sein, läßt aber irgendwie kaum Frischluft durch. Das Schlaferlebnis ist mäßig erholsam. Sehnsuchtsvoll erwarte ich den Sonnenaufgang und den Beginn des nächsten Tages.

 

 

 

 

Ich liege auf einem wackeligen Tisch, in einem uralten Gebäude (so sieht hier ein Medical Center aus!!), in der Hitze irgendwo in Afrika, die Frau Doktor inspiziert mich. Irgendetwas hat mich vor kurzem gestochen oder gebissen, ich habe einen wirklich scheußlichen knallroten Hautausschlag mit seltsamen Punkten, die sich täglich vermehren. Ihre erste Diagnose war wenig erfreulich: “It looks like chickenpocks or “xxx” (Name der Krankheit vergessen). You CAN treat, but it is long and painful.” Na toll. Ich mache mir riesige Vorwürfe… warum mußte ich unbedingt meinen Sturschädel durchsetzen und hierher kommen!!!??

Nach einer Weile intensiven Betrachtens mit einer Lupe schüttelt sie den Kopf, “No, it is not chickenpocks and it is no “xxx” (Name der Krankheit vergessen)… it looks like an allergic reaction to something!” Meine Lebensgeister beginnen wieder zu erwachen. Sie verschreibt mir eine cortisonhaltige Salbe und ein Antihistaminikum. Okay, also ich muss nicht heimfliegen.. ?! Mein Leben und mein Abend sind gerettet. Ich war kaum jemals zuvor so erleichtert. Um 50.- USD kurz danach übrigens auch noch zusätzlich. Was kostet die Welt! Hauptsache nicht „long and painful“. Ich bin der glücklichste Mensch auf der Welt.

Der nächste Tag verläuft unspektakulär. Zunächst muss ich mich überwinden, diese Tabletten zu schlucken. Natürlich habe ich dieses Medikament gegoogelt und erfahren, dass es in Europa nicht zugelassen ist und sich noch im Teststadium befindet, die Wirkung entspricht aber einem Cirtec, einem mir bekannten Antiallergikum. Na also, das bringt dich jetzt auch nicht um, denke ich mir, vielleicht hört dann endlich dieses entsetzliche Jucken auf! Doch leider nein, die Wirkung hält sich in Grenzen, es kommen noch weitere rote Punkte hinzu und ich kann kaum schlafen. So einen mega-Juckreiz habe ich überhaupt noch nicht erlebt.

Ich mache einen Ausflug und bin eine Weile gut abgelenkt. Eine Spice Tour steht auf dem Programm, Besuch einer Gewürzfarm. Dort lerne ich viel Interessantes über Pflanzen und ihren Gebrauch, Wirkungen und Einsatzmöglichkeiten. Toll, was die Natur so alles zu bieten hat, ich sehe eine frische Muskatnuss, die aussieht wie ein Alien, erfahre, dass es einen Lippenstift Baum gibt und wie man eine Kokospalme erklimmt. Spannend. Mein guide kennt sich gut aus, er spricht – neben Suaheli gut Englisch und Französisch und beim Mittagessen kommen wir richtig ins Philosophieren über Land und Leute, Gott und die Welt. Er ist etwa 25Jahre alt, Moslem, kommt jeden Tag hierher und hofft, dass es Touristen gibt, die ihm zugeteilt werden. Jeden Tag ein Hoffen, ein Kampf. Er wünscht sich einfach nur einen steady job. Wie gut geht es uns doch im Vergleich dazu. Besonders witzig finde ich den Umstand, dass die Afrikaner an verschiedene Worte, die mit einem Konsonanten enden gerne ein „i“ anhängen, das höre ich hier zu ersten Mal. Let’s go eati oder watch your step, rooti..

Zu Hause angekommen nervt mich der unbändige Juckreiz wieder und ich wende mich erneut vertrauensvoll an meine Freundin. Sie schickt mir die Telefonnummer von einem Tropenmediziner, den ich sogleich anrufe. Ein sehr freundlicher älterer Herr bittet mich, ihm Bilder via Whats App zu schicken und ruft mich wenig später zurück. Seine Diagnose ist eindeutig: das sind zweifelsfrei Bettwanzen! Bei den Rippen gibt es noch einen Stich oder Biss, da zeigt die Haut noch eine starke allergische Reaktion, ich bräuchte jetzt Cortison, am Besten eine Injektion.

Also hatte die Frau Doktor recht, nur von den Bettwanzen hat sie nix gesagt. Ich will dennoch nicht nochmal hin und wieder 50 Dollar zahlen für eine fragwürdige Injektion. Die Creme soll erstmal ausreichen. Nichts wie weg hier, ich bin froh, dass ich am nächsten Morgen schon in mein neues Quartier, in eine Wohnung nach Stone Town übersiedeln werde. Ich schlafe in Jeans, Hemd, Jacke und Socken, bei voll aufgedrehter Klimaanlage und wünsche den Biestern das Allerschlechteste! Von meinem Blut werden sie sicher nichts mehr bekommen!

Am nächsten Tag um 10:30 treffe ich in einem Cafe in den Fohorani Gardens Salum, meinen neuen Gastgeber. Ich habe mich per Airbnb in die Wohnung einer Holländerin eingemietet, sehr zentral gelegen, in der Gizenga Street. Salum erscheint pünktlich, orts- und religionstypisch mit einem weissen Kaftan und einer runden Kappe bekleidet, schnappt meinen Koffer und wir ziehen los. Die neue Wohnung liegt mitten im Soukh, ich fühle mich stark an Marrakesch erinnert, der Eingang ist ziemlich versteckt, der Vorraum verdreckt, aber als wir in den ersten Stock gelangen, sehe ich schon einen wundersamen Balkon im Innenhof, nett dekoriert, so geschmackvoll wie auf den Fotos von Airbnb. Als er aufsperrt, kommt mir zur Begrüssung ein Geruchsschwall von Schimmel entgegen, was mich nicht sonderlich begeistert. Offenbar war doch schon länger niemand hier. Er zeigt mir die Wohnung und ich reisse alle Fenster auf, um diesen Geruch los zu werden. Er meint nur knapp, ich soll im Badezimmer mit dem offenen Fenster aufpassen, es wäre wegen der Ratten… sometimes. Gut, ich entscheide mich vorerst mal gegen die Ratten und mache das Fenster wieder zu. Ich habe jetzt einmal genug von unliebsamem Getier.

Die Wohnung ist jedoch allerliebst, sehr bunt, orientalisch, und ganz nach meinem Geschmack eingerichtet, ich fühle mich wie eine kleine Prinzessin. Ich packe alles aus und richte mich wohlig ein, es ist viel Platz, herrlich! Es könnten bis zu 4 Personen da schlafen, ich liebe großzügige Räume und bin froh, den Bettwanzen entflohen zu sein. Auf dem grossen Doppelbett mache ich es mir bequem, poste Fotos auf facebook und bin very happy. Dann die ersten Posts – tja, die Bettwanzen,… die verschleppt man… die nisten sich in die Kleidung ein und dann reisen die überall hin mit. Nicht jetzt, echt nicht… !!! Mein Glücksgefühl bricht schlagartig in sich zusammen und ich beginne zu recherchieren. Ja, stimmt. leider. Ich habe also wahrscheinlich in diesen drei Tagen in dem miesem Hotel genügend Individuen eingesammelt, die jetzt mit mir auf Reisen gegangen sind, zumal ich den Koffer auch stets offen, in der Nähe des Bettes, und am Boden stehen hatte, was man NIEMALS tun soll. Oidaaa. Ich bin genervt.

„Hakuna Matata! welcome to paradise“ begrüsst mich am Flughafen von Zanzibar ein freundlich lächelndes tiefschwarzes Gesicht mit auffallend weissen Zähnen. Nach einem anstrengenden, zwar nicht extrem langen, aber dauergerüttelten Flug erscheint es mir schon wie „paradise“ endlich wieder festen Boden unter den Füssen zu haben. „ Taxi?“ fragt er,  ja zum Ocean View Hotel, kurz vor Stone Town. Das freundliche Lächeln erstirbt augenblicklich und er scheint jegliches Interesse an mir verloren zu haben, ich werde weiter und weiter geschickt. Stone Town ist gerade mal 10 Minuten vom Flughafen entfernt und die Fahrt dort hin kostet „mickrige“ 10 USD, ich bin also nicht der dicke Fisch, den er sich erhofft hat. Schliesslich lande ich im schäbigsten Taxi mit dem wohl allerältesten Fahrer. Auch egal, immerhin muss ich nicht lange fahren und kann mich bald in einem bequemen Bett ausstrecken. Im Hotel angekommen, balanciert der Rezeptionist meinen Koffer über zahlreiche Wege und Stufen in Richtung meines Zimmers, da läutet das Telefon, eine mir unbekannte Nummer aus Zanzibar. „Miss Renate?“ „Yes???“ „You took someone elses suitcase! yours is still here at the airport.“ Echt jetzt! Das darf ja nicht wahr sein. Ich hab mir extra einen knalltürkisen Koffer gekauft, den ich sofort aus 100en anderen heraus erkenne – doch diese Strategie hat scheinbar jemand anderes auch als besonders schlau empfunden. Ich schaue mir das Gepäckstück genauer an, ja es stimmt wirklich, das ist nicht meines, das Etikett ist anders. Zum Glück habe ich wie in weiser Vorhersehung in Wien noch das meine mit meiner Telefonnummer versehen. Gut, es hilft also nichts, ich muss noch mal zum Flughafen, schliesslich ist es meine Schuld, ich bin ja mit dem falschen Koffer abgehaut. Also noch mal 20 USD für hin- und retour investieren! Dieses Geschäft wäre für den Hakuna Matata Boy schon mal einträglicher gewesen. Am Flughafen finde ich eine ebenso aufgeregte wie erfreute Französin mit meinem Koffer vor. Wir machen ein Foto und tauschen unsere ident aussehenden Behältnisse, dann rausche ich mit meinem Fahrer wieder ab.

Das Vorhaben, mich erst mal mit einem kühlen Bad im Meer zu erfrischen, scheitert am Nicht-Vorhandensein von Wasser. Ebbe. Kilometerweit hat sich das Meer zurückgezogen. Ich habe davon im Reiseführer gelesen. Warum das aber gerade jetzt so sein muss, finde ich weniger erquicklich. Ich beschliesse, mich in der Bar mit einem Kaffee zu erfrischen und bestelle einen. Auf die Frage, welche Art von Kaffee es gibt, bin ich über die Antwort „yes, mam, we have instant coffee“ auch nicht gerade begeistert und entscheide mich für ein Tonic. Wer weiss, mit welchem Wasser die den Kaffee hier überhaupt machen und ob sie es auch gescheit abkochen…? Ich geniesse die Aussicht von der Barterasse ins weite Nichts. Für Wüste gibt es zu viel Seegrashaufen und Pfützen. Das Tonic Water hat nach etwa zwei Minuten Körpertemperatur angenommen. Die Hitze ist heftig, wenigstens weht hier ein Wind. Ich scheine der einzige Gast in diesem Hotel zu sein. Lange halte ich es nicht aus, ich beschliesse, die Nachmittagshitze zu verschlafen, hab ja Einiges an Schlaf aufzuholen. Auf dem Rückweg treffe ich auf einer zweiten Terrasse, auf der gerade mal 3 Stühle stehen, einer davon kaputt, auf ein weisshäutiges Ehepaar. Ah, es gibt doch auch noch andere Gäste hier! Sie sind aus Norwegen und heute schon den 2. Tag da und sie bleiben 2 Wochen! „Oh, mein Gott!“ schiesst es mir durch den Kopf, die Armen! Ich ziehe ja nach 3 Nächten weiter… 

Am späten Nachmittag klettere ich halbwegs ausgeschlafen die steilen Stufen zum Strand hinunter. Auf die Idee, hier mal aufzuräumen und den Dreck wegzuputzen, kommt scheinbar niemand. Überall liegt Papier und Plastikmüll, der Strand selbst ist wenigstens sauber. Liegestühle gibt es nicht. Eine Gruppe von schwarzen Frauen mit einem Kleinkind ist da. „Jambo!“ begrüssen sie mich freundlich und laden mich ein, meine Sachen bei ihnen, unter dem einzigen schattenspendenden Baum zu lagern, das finde ich nett. Sie planschen im Wasser herum. Auf die Idee, die Kleider auszuziehen, kommen sie aber auch nicht. Aus Respekt lasse ich meines auch an, als ich ins Wasser gehe. Es kühlt wenigstens dann noch mal ordentlich, wenn es klatschnass am Körper klebt. 

Als es dämmrig wird, sprühe ich mich mit Mückenschutzmittel ein und spaziere in der Hoffnung auf ein kaltes Bier ins Restaurant. Ich habe Glück. Jetzt ist auch das blaue Meer da, die Aussicht ist toll. Der Strand hat sich mit schwarzen Gestalten gefüllt, die Ballspielen, Musikhören, plaudern, lachen und schwimmen. Das ganze Dorf scheint hier zu sein. Jetzt da hinunter zu spazieren fühlt sich etwas mulmig an, es ist auch schon relativ dunkel. Ich frage nach Essen, es gibt 3 Gerichte zur Auswahl: Pizza, Fisch oder Chicken mit Curry. Ich entscheide mich für Letzteres.

Zum wohligen Ausklang des Abends, jetzt sind die Temperaturen endlich angenehm, setze ich mich noch auf die Veranda vor meinem Zimmer. Die Polster auf den gebrechlichen Korbsesseln sind nicht sonderlich sauber, ich drehe einen um und lege ein Tuch drauf. Als ich eine Zeil lang so sitze und meine ersten Eindrücke niederschreibe, verspüre ich einen heftigen Stich oder Biss im Bereich der Rippen. Ja, dort habe ich mich nicht eingesprüht! Na bravo, denke ich mir, den ersten Tag da und schon fange ich mir einen Malariamoskitomückenstich ein, so blöd kann doch niemand anderer sein! Ich verziehe mich ins Innere des Zimmers und sprühe mich mit noch mehr Mückenschutz ein, um für die Nacht gerüstet zu sein. Ich erwäge die sofortige Einnahme meines mitgebrachten Stand-By Malaria Mittels, frage aber zur Sicherheit noch eine Freundin, die schon weit gereist und in solchen Dingen erfahren ist. Zum Glück funktioniert das W-Lan ganz gut. Sie meint, das nimmt man normalerweise erst ein, wenn Malaria-Symptome da sind, und es ist ja nicht jede Mücke infiziert, sie hatte auch Stiche, aber es war nie was… da bin ich erstmal beruhigt. Dank Klimaanlage schlafe ich halbwegs gut.

Nach dem Frühstück auf der Terrasse (ich traue mich sogar, den Instant Kaffee zu trinken, denn die Norweger schauen an ihrem 3. Tag noch ganz gesund aus), nehme ich ein Bad im Meer, wieder im Strandkleid. Am Vormittag sind noch nicht so viele Menschen da, hauptsächlich einzelne Männer. Die meisten grüssen, manche fragen „how are you?“ oder „where are you from?“, lassen mich dann aber in Ruhe. Mein Stich hat sich ziemlich gerötet, juckt wie die Hölle und rundherum sind rote Punkte dazugekommen. Auch auf dem linken Arm habe ich einige rote Punkte. Ich behandle sie mit Zitronensaft, was gegen den Juckreiz helfen soll, tut es aber nicht. Keine gute Idee. Die Punkte werden grösser und mehr, der Stich-Punkt ist zu einem Fleck angewachsen, knallrot. Am Nachmittag kommt ein Gewitter auf, es stürmt und giesst in Strömen. Die Fenster sind undicht, es rinnt Wasser in mein Zimmer und bildet kleine Lacken am Boden. Ein Anflug von Panik überkommt mich, wenn jetzt sowas wie ein Hurrican oder ein Tsunami kommt und alle strohgedeckten Hütten hier wegfetzt? Wenn es nicht aufhört, kann ich nicht mal ins Restaurant gehen, um essen zu holen… und was ist das für eine eigenartige Krankheit, die ich habe, nach Mückenstich sieht das nicht aus, es werden immer mehr rote Punkte, die höllisch jucken. Ja, was musste ich auch so stur sein und unbedingt hierher kommen, trotz aller Warnungen und Sorgenbekundungen meiner Lieben?! 

Ich atme ganz tief durch und fasse einen Entschluss. Sobald der Regen aufgehört hat, lasse ich mich zum Medical Center fahren. Ich suche die Adresse aus dem Reiseführer und beginne mich anzuziehen und ein wenig zu schminken. 

Der Wetter-Spuk ist nach etwa einer Stunde vorbei und in meine Regenjacke gehüllt begebe ich mich zur Rezeption und trage mein Anliegen vor. Ein Fahrer bringt mich nach Stone Town. Eine winzige Tür führt in einen schmalen Raum, an einer Art Rezeption sitzen zwei gelangweilte Damen im Kopftuch. Nonnenähnlich, aber eindeutig muslimisch. Ich soll Platz nehmen und warten „Sit down and wait 10 Minutes“. Ich bin zwar noch nicht besonders Afrika erfahren, aber „wait 10 Minutes“ denke ich mir, das kann lang werden… so ist es auch. Eine unendlich gedehnte Zeit, in der meine Gedanken mit allerlei Gespinsten konfrontiert sind, ich rechne fast fest damit, morgen gleich wieder nach Hause fliegen zu müssen. Irgendwann kommt dann eine andere Kopftuchdame. Eilig hat sie es nicht im Geringsten. Sie richtet sich mal in ihrem Zimmerchen ein. Ich starre weiterhin an die weisse Decke mit den grünen Holzbalken und fühle mich elend. 

Endlich ruft sie mich auf, sie schaut sich meinen Hautausschlag an und ihr Gesicht verfinstert sich. Kommt mir jedenfalls so vor. Hmmm… looks like chickenpocks or like…  Name der Krankheit vergessen… it is afrikan. You CAN treat, but it is long and painful… „Do I need Antibiotics?“ „No, Antivirus.“ Ich bin aber doch geimpft gegen chickenpocks, wende ich ein. Das ist egal meint sie, das kann man trotzdem bekommen. Und es ist je nicht chickenpocks, just like..  Na bravo. Dass chickenpocks eigentlich Windpocken sind und nicht die richtigen Pocken hat mein Hirn zu dem Zeitpunkt noch gar nicht verarbeitet. Ich versuche gefasst zu sein. Ich soll mich mal hinlegen, meint sie, sie schaut sich das jetzt genauer an.

Guter Hoffnung zu sein ist ja prinzipiell etwas Schönes. Der Begriff an sich ist ein durchaus positiver, beinhaltet jedoch auch eine gewisse Komponente von Unsicherheit, die ein Ereignis betrifft, das in der Zukunft liegt.

Wir machen uns hoffnungsfroh auf den Weg zum Kap, das diesen Namen trägt. Zum südlichsten Punkt Afrikas. Zumindest ist es der süd-östlichste. Dort, wo die beiden Ozeane sich noch nicht vermischen, denn das berühmte „Kap der guten Hoffnung“ ist von reinem Atlantikwasser umspült und von heftigen Winden umtost, dem bekanntlich schon einige Schiffe zum Opfer gefallen sind.

Auf unserem ersten Stop im Örtchen Muizenberg begrüßt er uns schon mit kräftigem Gebläse. Ich halte meinen Hut fest. Der Strand ist wunderschön, weißer Sand mit glasklarem, türkisbauen Wasser, karibisch anmutend, wie im Reisekatalog. Nach einer vorsichtigen Probe mit den Zehenspitzen finden wir unsere Vermutung bestätigt; und wir wissen auch sofort, warum sich keiner der zahlreichen Surfer ohne Neopren Anzug auf’s Meer hinauswagt. Maximal 14 Grad soll das Wasser hier angeblich im Sommer kriegen. Paradoxerweise ist es im Winter wärmer, aufgrund irgendwelcher jahreszeitlich bedingter Strömungen.

Dementsprechend kurz fällt also unser Strandspaziergang aus, wir ziehen ein windgeschütztes Plätzchen vor, an dem man in aller Ruhe einen Kaffee schlürfen kann. Nicht, ohne davor ein Foto von den hübschen hölzernen alten Strandhäuschen gemacht zu haben, die knallbunt in den Farben der südafrikanischen Flagge leuchten: blau, gelb, grün und rot – wie auf einem der Bilder des frühen Jean Miro, heute auch werbewirksam verwendet für die Spanien Touristenwerbung.

Weiter geht es nach Simon’s Town, dessen Hauptstrasse von prunkvollen viktorianischen Häusern gesäumt ist, mit verschnörkelten Säulen, Balkonen und Veranden, kunstvoll aus Metall gefertigt ubd weiß angestrichen. Wenn man sich die verkehrsreiche Straße und das Meer auf der anderen Seite wegdenkt, könnte man glauben, man ist in einer Stadt im Wilden Westen. Würde hervorragend für eine Filmkulisse herhalten. Ein paar Pferde müßte man vielleicht noch aufstellen.

Wir wandern hinunter zum kleinen Hafen und den Pier entlang. Ich schieße ein pittoreskes Foto von einem schwarzen Mann mit Hut, der vor einem Wald aus Schiffsmasten sehnsuchtsvoll in die Ferne schaut. Möwen kreischen. Ein Katze miaut. Wir gehen weiter. Ein Hahn kräht. Wir schauen uns fragend an. Was macht bitte ein Hahn auf diesem Pier ? Die Katze miaut wieder, dann bellt ein Hund. Vögel zwitschern, ein Pferd wiehert. Der Mann mit dem Hut kommt uns entgegen. Wir lauschen angeregt, schauen ihn jetzt genau an und hegen den ersten Verdacht. Ja, ER ist es. Er macht alle diese Tier-Geräusche. Und zwar so unglaublich echt, dass man es kaum glauben kann.

Wir sprechen ihn an. Wieviele Tiere kann er denn nachmachen? 30 Tiere sind es jetzt. Er lernt aber immer neue dazu, jeden Tag übt er das. Wir geben ihm ein Trinkgeld in ein Plastikgefäß, das er hinter dem Rücken trägt. Großartig! Womit sich die Leute hier ein bißchen Geld vedienen!! Aber er ist echt gut. Sehr talentiert, wie die Kellnerin in der kleinen Hafenbar formuliert. Jeden Tag ist er da. Ziemlich unauffällig, ja völlig unverdächtig geht er am Pier und vor dem Lokal auf und ab, und schaut verträumt in den Himmel. Ein Ehepaar kommt vorbei. Er bellt laut und zwickt die Frau von hinten in die Wade. Diese schreit auf, die beiden Eheleute blicken völlig verwirrt und suchend umher. Alle lachen. „One day he will cause someone’s heartattack“, meint die Kellnerin schmunzelnd.

Wir erfrischen uns mit einem Drink und ich bewundere die Kunstwerke bei einem neben uns aufgebauten Stand. Hier gibt es wirkliche Tiere, zu kaufen, wirklich handgemachte, aus Perlen, Holz, Metall, Draht und allen möglichen und unmöglichen Materialen. Die Afrikaner sind großartige Kunsthandwerker. Und Recycling-Künstler. Am Besten gefallen uns die aus alten Autoteilen gefertigten, die teilweise rostig, teilweise noch mit alten Lackresten behaftet sind. Wir entscheiden uns für einen Elefantenkopf, den man an die Wand hängen kann, sehr hübsch und erstaunlich billig. Als Draufgabe noch einen Löwen, zwei Vögel und einen ganzen Elefanten. Ich möchte den Leuten hier durch einen Kauf Anerkennung zollen und sie auch finanziell unterstützen.

Nach Simon’s Town geht es weiter südwärts, zur Haupt-Touristentraktion, dem „Pinguin Strand“. Eine Kolonie von Brillenpinguinen lebt hier und kann für ein kleines  Eintrittsgeld besichtigt werden. Ein äußerst lohnendes Fotomotiv! Theoretisch könnte man auch mit ihnen schwimmen gehen; wenn man das wollte. Und wenn man Glück hat, und sie in der Nähe sind. Aber obwohl auch dieser Strand rein optisch zur Kategorie Traumstrand gehört, ist das Wasser eindeutig viel besser für Pinguine geeignet, die vorher stundenlang in der Sonne herumgestanden sind. Einer dieser komischen Vögel aber zieht es vor, im schattigen Gebüsch beim Parkplatz zu dösen. Zahlreiche Schilder weisen darauf hin, dass man auf versteckte Pinguine achten soll. Auch unter den Autos scheinen sie sich manchmal aufzuhalten.

Am Eingang zum Naturschutzgebiet des Kaps, wo man wiederum ein Ticket kaufen muß, hat sich eine lange Autoschlange gebildet. Es ist Mittag, die Sonne brennt herab, es ist heiß im Wagen, Mein Mann will sofort umdrehen, ich erinnere ihn aber daran, dass er am Vorabend gemeint hat, wenn er schon da ist, muß er unbedingt hinunter bis zum berühmten Kap!

Murrend reiht er sich ein, es dauert etwa eine halbe bis 3/4 Stunde bis wir endlich unser Ticket gelöst haben. Wolken ziehen auf. Schnell sind sie da nicht gerade bei der Abfertigung. Aber das ist hier nirgends so. „Schnell“ geht gar nix. Und „gleich“ schon gar nixer. Hoffnungsfroh fahren wir also in den Park, um nach etwa 10 Minuten wieder in der Kolonne zu stehen. Die Straße wird saniert und nur eine Spur, die wechselweise für den Verkehr frei gegeben wird, ist benutzbar. Das dauert wieder etwa 10-15 Minuten. Und das an zwei Stellen. Wenigstens kann man ausgiebig und in Ruhe diese schöne Berglandschaft mit der nur hier im Table-Mountain Park Resort vorkommenden Fynbos Vegetation bewundern. Eine sehr artenreiche, heidekrautähnliche Flora, mit vielen dekorativen Blütensträuchern. Hier wächst u.a. die wunderschöne Protea, Nationalblume Südafrikas, die man bei uns aus Blumengeschäften kennt und nur für ganz besondere Anlässe kauft.

Als wir endlich das Kap erreicht haben, ist aus den stetig heraufziehenden Wolken einigermaßen dichter Nebel geworden. Na bravo. Wozu sind wir jetzt eigentlich da? Aussicht gleich Null. Aber wir geben die gute Hoffnung nicht auf. Wir gehen mal ins Restaurant, in der Hoffnung auf baldiges Essen. Aber wie gesagt, schnell geht hier gar nix. Obwohl wir schon im glücklichen Besitz einer Speisekarte sind, machen alle Kellner einen großen Bogen um uns. Als es uns schließlich gelingt, einen auf uns aufmerksam zu machen (den kleinsten und schüchternsten von allen), schreibt dieser unsere Bestellung auf einen Block; meine Frage nach dem auf einer Tafel angekündigten, aber nicht weiter beschriebenen Fischgericht des Tages überfordert ihn scheinbar und er verschwindet auf Nimmerwiedersehen.

Geduld, wir sind in Afrika. Die Aussicht von der Restaurantterrasse ist… naja hoffnungsvoll. Dass der blöde Nebel wegzieht. Kalt ist es auch geworden. Mein Mann holt Jacken aus dem Auto, in der Zwischenzeit werden (nach letztlich erfolgreicher Bestellung bei einem anderen Kellner) die Vorspeisen serviert. Diese sind ein Augenschmaus. Das finden auch die glänzenden schwarzen Vögel mit den braunen Flügelspitzen, die hier 3x so groß und 3x so frech wie die Spatzen zahlreich herumhüpfen. Ich verteidige tapfer unsere beiden Gerichte, einem gelingt es aber doch, eine Manderinenspalte vom Teller meines Mannes zu ergattern.

Als wir aufbrechen, ist der Nebel nicht mehr ganz so dicht und wir wandern auf einem hölzernen Steg abwärts Richtung Kap. Von den Leuchttürmen oben am Cape Point ist gar nichts zu sehen; das scheint in früheren Zeiten auch leider so manchem vorbeifahrenden Schiff zum Verhängnis geworden zu sein.

Die Landschaft aber, soweit man sie sehen kann, ist atemberaubend. Die Wolkendecke lockert sich stetig. Buntes Gestein in allen erdenklichen Ocker-, Braun- und Rottönen – kommt zum Vorschein. Meine Lieblingsfarben, die ich auch immer gerne in meiner Malerei verwende.  Vielerlei Verwerfungen, wunderbare Muster und verschiedenste Pflanzen in allen erdenklichen Grüntönen sind zu sehen. Wir steigen etwa 250 Stufen zu einer malerischen Bucht hinab, wo der Wind tost und die Wellen eindrucksvoll gegen die hoch aufgeschichteten, farbigen Felsen branden. Hier fühlt man sich so richtig klein und unbedeutend inmitten einer gewaltigen, mächtigen Natur, die ihre eigenen Gesetze hat. Eine kleine tote Robbe liegt am Strand, in der Nähe kauert ein alter, schwacher Vogel, der nicht wegfliegt, auch wenn man ganz nah kommt. Auf ihn scheinen die Möwen schon nervös herumhüpfend zu warten.

Der Aufstieg ist mühevoll, aber wir sind um viele beeindruckende Bilder bereichert. Mittlerweile ist das Wetter wieder besser, eine schon tiefstehende Sonne taucht die Landschaft in warmes Licht. Auf der Rückfahrt probiere ich das Autofahren auf der linken Straßenseite aus. Ist doch ganz einfach! Theoretisch. Auch ich erwische versehentlich mal den Scheibenwischer statt dem Blinker und wir hüpfen zurück in den falschen Gang. Naja; wenigstens ist hier jetzt fast kein Verkehr mehr. Für die Heimfahrt nach Cape Town überlasse ich das Steuer wieder meinem Mann. Ich lehne mich entspannt zurück und erblicke in der Ferne zwei große Vogel-Strauße. Die gibt es wirklich hier! Wow. Letztendlich sind unserere guten Hoffnungen doch noch erfüllt worden: es war ein wunderschöner, unvergesslicher Ausflug.

Renate Reich, 18. November 2018

 

Aankomst. Kapstadt – Das Zweite, das hier auffällt, nachdem man Quartier bezogen und ein wenig herumspaziert ist, sind die Zäune. Zacken, Stacheln, Spieße oder elektrische Drähte, manchmal eindrucksvoll surrend. „Armed Response“ Schilder findet man fast überall. Wir wohnen in Gardens, einem besseren Viertel mit Einfamilienhäusern, in einer hügeligen, sehr grünen Gegend. Sehr schön, eigentlich. Der Ausblick von unserer Terrasse auf das nächtliche Lichermeer ist beeindruckend. Kapstadt ist riesig. Das war schon beim Anflug eindrucksvoll zu sehen; sehr viele Menschen leben hier.

Manche leben, manche leben gut, manche sehr gut, manche existieren nur. Sehr viele. Und kämpfen täglich um’s Überleben. Wieviele Einwohner die Stadt genau hat, weiß man gar nicht, denn die Zahl der Menschen in den Town Ships, Erbe aus der Zeit der Apartheid, ist unbekannt. Die anderen schützen, was ihnen gehört. Und das müssen sie auch. Lustig ist das für beide Seiten nicht. Aber für die eine Seite ist das Leben vermutlich doch ein bißchen leichter als für die andere.

Auf den Straßen sieht man viele Bettler und komische Gestalten, sehr heruntergekommen. Einige von ihnen tragen gelbe, rosa oder orangene Warnwesten und haben ihr kleines Revier, sie helfen den Autos beim Ein- oder Ausparken, zeigen wo freie Plätze sind, und wann die Straße frei ist zum Losfahren. Dafür gibt man ihnen ein kleines Trinkgeld. Damit haben sie eine sinnvolle Aufgabe. Ist für unsereins manchmal ein bißerl nervig, aber ich finde es dennoch gut und gebe immer ein paar Münzen. Das tut mir nicht weh und bringt ihnen was. Auf der anderen Seite gibt es sehr viele – weniger komische – Gestalten mit gelber oder grüner Sicherheitsweste, die mit Schlagstöcken ausgerüstet und besser angezogen sind. Offiziell angestellte Security Personal für die Straßen der Stadt. Seit der WM 2010 hat sich die Sicherheitslage in Cape Town aufgund ihrer Präsenz massiv verbessert. Die Innenstadt ist jetzt sicher, es spielt sich touristenmäßig auch sehr viel ab, hat die Stadt ja viel zu bieten. In der Nacht soll man allerdings nicht alleine unterwegs sein, und auch nur in bestimmten Vierteln, auf gut beleuchteten Straßen. Anfangs bewegen wir uns extrem vorsichtig, aber mit der Zeit bekommen wir eine bessere Orientierung und ein ganz gutes Gefühl, wohin man gehen kann und wann oder wohin besser nicht.

Ein Ausflug auf den Tafelberg ist unsere erste größere Unternehmung und bei strahlendem Wetter ein absolutes Highlight. Zuerst mit dem Bus, dann weiter mit der Gondelbahn erreicht man in atemberaubend kuzer Zeit schwindelige Höhen. Wir haben Glück, wir sind unter den ersten, die die kreisrunde Gondel (aus der Schweiz importiert, habe ich gelesen) betreten können und suchen uns den schönsten Platz aus. Oder versuchen es zumindest – mein Mann und ich sind uns nicht einig, welcher das ist. Er will nach oben schauen, ich nach unten. Da die Gondel sich schnell füllt, und eine Entscheidung ansteht, gibt er nach. Nett von ihm. Doch sobald sich das Ding in Bewegung setzt, beginnt sich auch das Innere zu drehen: Wir stehen auf einer um 360 Grad rotierenden Plattform. Eine hervorragende Lösung unseres Problems. Wir können nun alles aus allen Perspektiven sehen. Diese Modell sollte man auf das wirkliche Leben übertragen können. Ein vorbildlicher Lösungsansatz, finde ich.

Die Aussicht ist beeindruckend. Der Tafelberg gehört zu den ältesten Gesteinsformationen dieser Erde und so wirkt er auch. Das Gestein ist grau, vielfach verworfen und es erinnert an Elefantenhaut. Überhaupt steht der Tafelberg fest und stur da wie ein uralter Elefant. Mit einem langem, geraden Rücken, auf dem wir gemütlich herumspazieren.

Die V&A- Victoria und Afred Waterfont, benannt nach Königin Victoria und Sohn, Namen der beiden Wasserbecken, ist unser nächstes Ziel. Ein gelungenes Beispiel einer Revitalisierung von einem heruntergekommenen Hafenviertel. Für unseren Geschmack vielleicht etwas zu kommerziell, aber dennoch – a place to be. Very nice. Wunderbar zum Flanieren, Schauen, Shoppen und Genießen. Pulsierendes Leben, viele Touristen und Einheimische, Musiker, die singen, tanzen oder virtuos Balaphon spielen.

Hier verkosten wir erstmals ein Glas Wein und befinden dieses – etwas untertrieben formuliert – für absolut brauchbar. Sauvignon Blanc vom Feinsten, zu einem sehr erschwinglichen Preis. Dazu muß natürlich ein Fischgericht verzehrt werden. Wir schwelgen in Genuß und lassen uns die Sonne ins Gesicht scheinen. Ein etwas kühler Wind vom Meer mindert diesen nur geringfügig. Zu Hause ist es November und in Wien kann man sich jetzt wahrscheinlich maximal den Nebel ins Gesicht schweben lassen. Wenn man das unbedingt wollte.

Auf dem Weg nach Hause decken wir uns mit Lebensmitteln für die ersten paar Tage ein. Ein großer Supermarkt ist schnell gefunden – übrigens ein Spar – und es gibt eine große Auswahl an allem, die Fleischabteilung ist allerdings wesentlich kleiner als bei uns zu Hause. Stört uns nicht. Für diesen Abend auf unserer Terasse wollen wir uns etwas Nettes zum Trinken mitnehmen, eine Flasche Wein oder ein paar Bier, werden aber erst nach Fragen fündig. Bier gibt es hier gar keines und der Wein ist in einem Regal, das mit schwarzen Stoffbahnen verhängt ist. Komisch. Naja, vielleicht soll der Wein versteckt sein und nicht so offensichtlich „verführen“. Wir heben die Verhängung ein wenig an und suchen uns mit sorgfältiger Vorfreude drei hübsche Flaschen mit interessantem Etikett und ebensolchem Inhalt aus, Sauvignon natürlich, Sparkling Brut und Rose. Bei der Kasse zieht die Dame die erste Flasche routinemäßig über den Laser, um sie sofort danach wieder zu stornieren; „Sorry – no alcohol after 6 o’clock.“ Kein Erbarmen. Es ist Sonntag Abend, etwa 19:00. Eine herbe Enttäuschung. Wieder kein chilliger Terassenabend mit Wein.

Draußen fragen wir eine der zahlreichen Securitys, ob es denn irgendwo noch eine Quelle für uns abendliche Genußtrinker gibt – und man sagt uns, „yes, there is a liquor store over there – turn right after the second robot“. Robot ? Muß wohl „Ampel“ heißen, sonst mach es keinen Sinn. Überhaupt, die schwarzen Südafrikaner sind sehr schwer zu verstehen, Britisches Englisch, meist mit rollendem R und oft erheblichem Kauderwelsch-Anteil. Wie auch immer, wir finden ein passendes Geschäft, irgendwo auf unserem Heimweg.

Jedoch der zweite Abend auf unserer Terrasse verläuft sehr kurz, da wir unendlich müde sind, von all dem Erlebten. Und glücklich, mit dem was wir haben. Jetzt und hier und vor allem zu Hause, im fernen Österreich. Dass wir in einem Land leben, in dem das tägliche Überleben nicht in Frage steht; auch wenn uns derzeit viel am Klima – meteorologisch und politisch – gar nicht gefällt.

Renate Reich, 16.11. 2018

Aankomst. Kapstadt – Hier bin ich nun, am anderen Ende der Welt. Beziehungsweise am unteren Ende der Landkarte, wo die Sonne im Norden steht und die Jahreszeit umgekehrt zu unserer daheim ist. Alles anders. Auch die Leute fahren hier auf  der „verkehrten“ Straßenseite, das ist sehr gewöhnungsbedürftig und absolut nicht streßfrei. Aber dazu später.

Den langen Flug habe ich diesmal sogar ein wenig genossen, weil die Landschaft unter mir so faszinierend war. Auf meinem Platz versperrte eine riesige Tragfläche den Großteil der Aussicht, darum habe ich mich immer wieder an einem der wenigen kleinen zugänglichen Fenster stehend aufgehalten, meine Nase daran plattgedrückt und fasziniert nach unten geschaut

Nachdem man das Meer überquert hat, fliegt man einige Stunden über die Wüste. Über orange-sandfarbene Dünen verschieder Art, wundervolle Muster, die ich am Liebsten gleich als Kunstwerk zu Papier bringen würde. Zuerst sternenförmig, dann langgestreckt. Wenn man sich dem Äquator nähert, wird es dann erst richtig spannend. Andere Muster erscheinen, verschiedenartig geformte Flecken und dann riesige, gewundene Flußläufe, die sich wild schlängelnd, wie Schlagadern vom Untergrund abheben. In der Sonne glitzernde Seen, endlose Baumlandschaften. Ich bin fasziniert, inspiriert und speichere das alles im Geiste ab. Erfreulicherweise gibt es dazu ein Glas gekühlten Prosecco. Naja, einen Plastik-Becher halt. Oder zwei.

Das erste, was mir nach der Landung am Flughafen auffällt, sind die Frisuren und der blumige Geruch. Viele sehr schwarze Menschen mit ideenreichen, sehr eigenwilligen Haarkompositionen stehen mehr oder weniger – eher weniger – geschäftig herum. Entweder mit kunstvoll drapiertem Haar oder auch gänzlich ohne. Aber Kopf-Styling ist hier sehr wichtig. Die Herren bei der Passkontrolle scheinen ihre Glatzen besonders sorgfältig poliert zu haben. Möglicherweise mit dem gleichen Mittel, dessen Geruch in der ganzen Ankunftshalle präsent ist und mich an ein cremig-öliges Produkt aus einem Afro Shop erinnert, eine dicke Paste für schwer zu bändigende Haare, die ich mir vor Jahren in meiner Not mit der ständig feuchten Luft in Los Angeles gekauft habe.

Begrüßt werden wir von zahlreichen Flaschen: die Passkontrollore sitzen wie Könige in kleinen Kobeln, die allesamt mit Werbung für hier preisgünstige Alkoholika verziert sind. Ein seltsames Bild. Einer dieser dunkel glänzenden Köpfe blickt stolz und streng auf meinen Pass, als ich endlich drankomme und fragt mich knapp, wie lang ich in Südafrika bleiben will, bevor er einen energischen Stempel hineindrückt. Jetzt sind wir hochoffiziell beglaubigt und wahrhaftig eingereist.

Bei der Autovermietung versteht ein übrigens erstaunlich unoriginell frisierter Mann nicht, warum ich als Ehefrau einen anderen Namen habe als mein Mann, nämlich Reich-Palme und nicht nur Palme. Er grinst und sagt zu meinem Mann, „Why not only your name? You are not strong enough“. Naja, wenn er das meint – wir schmunzeln und machen uns auf den Weg zu unserem Wagen.

Und dann beginnt das eigentliche Abenteuer: als Beifahrerin in einem Wagen mit Gangschaltung auf der linken Straßenseite – mit einem legasthenisch veranlagten Mann, in der Nacht, in Kapstatdt. Na servas. Wir zuckeln ziegenbockartig aus dem Autovermietungsgelände unmittelbar auf eine stark befahrene Autobahn. Schalten mit der linken Hand will erst mal gelernt und geübt sein. Ich bin an eine Szene im Film „Night On Earth“ von Jim Jarmusch erinnert, in der ein alternder, ehemaliger Clown aus Ostdeutschland seinen neuen Job als Taxifahrer in New York antritt und seine Not mit dem Automatik Fahrzeug hat. Dort übernimmt schließlich der Fahrgast das Steuer.

Auf der Autobahn heißt uns eine große, rote Leuchtschrift willkommen: „Don’t Stop on the highway – Dangerous zone“. Nona, freiwillig würden wir das sicher nicht tun. Ich habe aber kaum Zeit, mich über diese Information aufzuregen, denn mein Mann fährt immer so weit links, dass wir entweder am Randstein, an der Leitplanke oder an der Bordsteinkante streifen, oder auch in die Nebenspur hineinragen.

Der Versuch bei der ersten Tankstelle, ein wenig zu verschnaufen und Bier oder Wein einzukaufen scheitert kläglich, man hätte sich ja doch vorher besser informieren sollen. Zigaretten gäbe es genug, aber ich rauche nicht mehr. Also nur Wasser. Und weiter geht es. Ich versuche so gut wie möglich mit Hilfe des Navigationsgerätes anzusagen, wohin wir fahren sollen, der Fahrer ist mit der Bedienung des Fahrzeuges schon reichlich ausgelastet.

Die nächste Ausfahrt links, nein liiiinnksss… dort ist das Links – ich klopfe laut ans Fenster. Wir sind beide völlig entnervt und es bessert sich auch nicht, als ich einmal eine Abfahrt versäume und wir woanders hingeraten.

Die Anwesenheit zahlreicher Polizeifahrzeuge, Security Männern in gelben Leuchtwesten und die gut beleuchteten Straßen erwecken aber doch das Gefühl, halbwegs sicher zu sein, auch wenn immer wieder zahlreiche dunkle Gestalten die Straßen queren oder auf diesen sitzen oder liegen. Eine kleine Steigerung des Fahr-Abenteures gibt es dann noch am Ende der Strecke, als die Straßen sehr kurvig, eng und steil werden. Die Auffahrt zu unserer Einfahrt und das Einparkmanöver hätte ich selbst kaum bei Rechtsverkehr geschafft. Ich schon, aber meine Nerven wahrscheinlich nicht. Es ist 1 Uhr in der Nacht und wir sind heilfroh, dass wir am Ziel sind.

Unser Apartement erfreut uns zunächst mit ein wenig Schimmelgeruch, der aber nach kurzer Durchlüftung zum Glück bald wieder verschwindet. Wir genießen einen herrlichen Ausblick auf das Lichtermeer dieser riesigen Stadt und eine Tasse Rooibos Tee statt einem Glas Wein auf einer lauwarmen, sommerlichen Terrasse. Der Duft von Gangia (wahrscheinlich aus dem Nachbarhaus) umschwebt unsere Nasen und über uns funkelt eindrucksvoll ein prächtiger Sternenhimmel. Aankomst. Kapstadt. Alles ist gut.

Renate Reich, 12. November 2018

Geich vorweg: ich bin nicht in Louisiana, am Mississipi oder in New Orleans… aber dennoch in „kreolischem“ Gebiet, auf einer Insel im Indischen Ozean: La Reunion. Jenseits des Äquators, im südlichsten Teil Frankreichs, daher natürlich auch in einem Teil der EU. Darum bin ich da.

Kreolisch bedeutet, vereinfacht gesagt, eine Mixtur. Aus Europa und „irgendwo in Übersee“: Bevölkerung, Sprache, Kultur, Religion, Essen, alles… Und das kann sehr, sehr spannend sein.

Schuld ist der November. Seit ich mich erinnern kann, habe ich den November immer schon nicht leiden können. Mein absoluter „No Go Monat“: nebelig, kalt, grau, schiach, voll entbehrlich… im Oktober ist es ja manchmal noch schön, zum Beispiel zum Wandern – die bunten Blätter, Nüsse, Trauben und der frische Sturm, all das kann noch was. Die letzten Ausläufer des Sommers lassen grüßen und erfreuen mit allerlei leuchtenden Farben. Und dann: November: der kann gar nix. Außer vielleicht ein Martinigansl. Mit Maroni, wenn man Glück hat; das war’s aber auch schon. Im Dezember gibt es dann wenigstens manchmal ein bißchen Schnee oder zumindest die Vorfreude auf Weihnachten, den Advent, die Kerzen, die hübsche, glitzernde Weihnachtsdeko…

Wie auch immer – ich habe mir für dieses Jahr einen Plan zurecht gelegt, dieser unliebsamen Zeit zu entfliehen und diesen auch in die Tat umgesetzt (was so manche mir mehr oder weniger bekannte Mitmenschen in Erstaunen versetzt hat). Word. Done.

Nun bin ich also hier, nach einer äußerst aufregenden Anreise (siehe Kreolisch Reisen Teil 1 und 2) und ich fasse einmal meine Eindrücke der ersten Woche zusammen:

Es ist mega super, den ganzen Tag ohne Schuhe herum zu laufen. Im Haus und auf der Terrasse. Na gut, das war wohl etwas zu persönlich, empfinde ich aber trotzdem so. Großes Wohlbefinden 🙂 es ist (Früh-) Sommer hier.

Die Insel ist eine riesige Mixtur an… allem. Es kommt mir vor, wie wenn ich zu Hause den Kühlschrank öffne und schaue, was es alles gibt und es mir gelingt, daraus eine wunderbar schmackhafte Mahlzeit zuzubereiten. Hier gibt es ganz viel Verschiedenes. Aufgefallen ist mir das erstmals im Supermarkt während ich an der Kasse wartete: hier stehen so viele Menschen unterschiedlicher Statur, Größe, Hautfarbe, Haarfarbe, ein wahrliches Panoptikum. Und dazu noch das viele „Bunt“: Gewänder, Häuser, Möbel, Pflanzen, unzählige Blüten, der Himmel, spektakuräre Sonnenuntergänge,… einfach super truper farben-froh. Ich mag das. Und das Tolle daran ist, dass diese bunte Mischung hier gut zu funktionieren scheint. Die Menschen haben verschiedene Hautfarben, Herkunft, Ethnien, Religionen – was auch immer – es ist egal!!! Sie leben alle auf dieser winzigen Insel (ca. 60 km lang) im riesigen Indischen Ozean zusammen, fühlen sich, so unterschiedlich sie auch sind, als „Reunionaisen“ und jeder darf das sein, was er ist, was er/sie sein will. Irgendein Zufall früherer Generationen hat sie hierher gewürfelt, und sie sind geblieben. Christen, Moslems, Hindus… du findest hier die unterschiedlichsten Religionen und ihre Kirchen, Moscheen, Tempel dicht an dicht nebeneinander, in voller Toleranz. Paradies eigentlich, finde ich. Bei uns wird es hingegen immer engstirniger, ungustiöser, und … eigentlich gefährlich, fürchte ich.

Aber nicht nur die Menschen und ihr Erscheinungsbild sind mannigfaltig, ebenso und ganz besonders hier ist es die Natur. Man kommt sich vor, wie in einem riesigen Blumengeschäft, wie im Tropenhaus, ja oft sogar wie in „Fairytopia“, im Barbie-Fantasie-Land, das ich früher mit meiner Tochter so gern auf DVD angeschaut habe: es gibt riesige Schlingpflanzen und Farne, Blätter und Blüten aller Formen und Farben, Wälder, Steppen, Berge, Schluchten, Canyons, unzählige Wasserfälle, Strände, Sand und 1000e Arten von Palmen, einen Vulkan… paradiesisch, wirklich – und das alles bei herrlich angenehmen (keinesfalls dem Europäer gewöhnlichen November-) Temperaturen.

Am Anfang war ich völlig überfordert – mit Schauen und Staunen und, was, bitte, soll ich denn da NICHT fotografieren? Allein die Tatsache, dass ich meinen Wagen selbst chauffieren muß, läßt mir weniger Zeit dazu, leider.

Mein erster größerer Ausflug führt mich in den Cirque de Salazie, den größten und am leichtesten zu erreichenden der drei hier vorhandenen, imposanten Bergkessel. Dafür stehe ich auch schon um 5:40 auf – und wer mich kennt, weiß, für mich ist das eine außergewöhnliche Leistung, die wirklich eines besonderen Anlaßes bedarf. In den Reiseführern steht die frühe Anreise expilzit als Empfehlung drin, denn schon im Laufe des Vormittags ziehen Nebel und Wolken auf und verschleiern die Sicht auf das wunderbare Bergpanorama. Als ich dann von der Autobahn abfahre und in das Tal einfahre, bin ich erstmal sprachlos. Ich halte an der Seite und genieße den Ausblick, mache die ersten Fotos. Wie gesagt, die Auswahl ist nicht leicht, … die weitere Fahrt wird immer kurviger und steiler, ich ziehe meinen geistigen Hut vor den Straßenbauern.

Es ist, als ob man die Außenkanten eines gefiederten Blattes entlang führe – die Straße schmiegt sich an den Berg, sie kuschelt sich an das Gelände und paspelt es regelrecht ein. Das erfordert viel Aufmerksamkeit beim Fahren. Ich wünsche mir einen Chauffeur oder einen Sänftenträger, so wie es hier in früheren Zeiten die wohlhabenden Reisenden zu praktizieren pflegten. Dann hätte ich noch mehr Chance auf bewundernde Blicke für meine Umgebung. Ist aber nicht. Kommt davon, wenn man mit sich selbst alleine verreist. Und die Sänftenträger müßten ohnehin alle zwei Kilometer (wegen Erschöpfung) ausgetauscht werden, das will man ja doch niemandem zumuten, nicht mehr heutzutage.

Bewunderung allerdings empfinde ich durchaus für die Busfahrer, die sich hier mit äußerster Präzision durch die Gegend schrauben. Mitfahren möchte ich dann aber lieber doch nicht. Da fühle ich mich in meinem wendigen Kleinwagen schon etwas wohler, vor allem beim Durchfahren eines Überhangs, der fröhlich, quasi mitten durch einen kleinen Wasserfall führt.

Ziel meiner heutigen Ausfahrt ist die kleine Stadt Hell Bourg, ein ehemaliger Kurort mit Thermalquellen, die im vorigen Jahrhundert zunächst leider plötzlich erkaltet und mittlerweile völlig versiegt sind. Außerdem hat ein durch einen Zyklon ausgelöster Erdrutsch die Therme vollkommen zerstört. Aber das Dorf mit seinen bunten Häuschen gehört jetzt immerhin offiziell zum erlesenen Club der schönsten Dörfer Frankreichs.

Viele der zur Zeit des Thermen Booms Ende des 19. Jh. entstandenen kreolischen Häuser wurden renoviert und sind durchaus sehenswert, allen voran natürlich das „Maison Folio“ mit seinem legendären Garten. Ich bin so früh dran, dass sich noch locker ein Kaffee ausgeht, bevor die Führung dort beginnt. In einer kleinen Bäckerei kann ich mich unter all den exotischen Leckereien nicht entscheiden und belasse es dann bei einem Heißgetränk. Maniok-, Mango-, Passionsfrucht-, Kürbis-, Ananas- oder Chayote- Kuchen… ???? Was hätte man denn da nehmen sollen?

Um punkt 9:00 finde ich mich mit zwei Franzosen vor dem Gittertor der „Maison Folio“ ein, doch es ist abgeschlossen; zwar elegant ohne Schloß, nur mit Kette, aber dennoch… wir rätseln. Heute ist der 11.11. – ein Feiertag auf der Insel. Ob deswegen geschlossen ist? Um 9:15 trudelt gemütlich eine Person ein und öffnet die Pforten, jaja, alles gut, es geht jetzt los. Pah, Pünktlichkeit, das nimmt man hier nicht so wörtlich genau.

Diese Dame ist eine Kreolin, wie man sie sich bildlich vorstellt. Mittel bis dunkle Hautfarbe, krauses, braunes Haar, volle Lippen. Hätte sie noch ein Kopftuch und Ohrringe, wäre sie das Klischee pur, aber sie trägt Jeans und und T-Shirt und vor allem ein Mundwerk, das man niemals gegen sich gerichtet haben möchte. In unheimlich zungenfertigen, schnellen und gewandten Sprachmanövern erklärt sie den immer zahlreich werdenden Gästen, den Hausgebrauch: zuerst dort drüben Karten kaufen, und jetzt sofort beginnt die Führung. „Kleiner Monsieur, stellen Sie sich bitte hierhin, und Sie, mit dem großen Rucksack, gehen Sie zwei Schritte nach hinten, und die Dame mit dem Hut kommt jetzt zu mir, …nein, dahin, …ja genau so.“

Sie positioniert ihre Gäste wie in einem Schachspiel und erklärt dann ausführlich alle Pflanzen des Gartens, erzählt von deren Herkunft und Verwendung und gibt allerlei Anekdoten zum Besten. Dass man den Riesenbambus wachsen hören kann, dass man Kampferholz zwar für den Bau von allen möglichen Möbeln, aber niemals für Betten verwenden soll, weil es angeblich impotent macht, dass die Frauen auf der Insel aus Rum-Flaschenverschlüssen (ringförmig) mit Zwirn tolle Vorhänge anfertigten und sich die Männer bereitwillig für die Materiallieferung “opferten”… je mehr Verschlüsse desto größer das Stoffwerk. Der Rum wird hier übrigens nicht nur einfach getrunken, sondern vorher liebevoll „arrangiert“. Er wird nach Belieben mit frisch geschnitten Früchten oder Gewürzen verfeinert: Ingwer, Zitronen, Mangos, Vanille… Man versteht es sehr gut, sich zu arrangieren hier auf der Insel, meint sie.

Dazu gibt es allerlei Riech- und Tastproben (von Curcuma, über verschiedene Holzarten, Bambus, arrangiertem Rum…) Leider verstehe ich nur etwa 40%, mein Französisch ist zu sehr eingerostet bzw. ich kann den verbalen Spitzen nicht schnell genug folgen; es ist dennoch sehr unterhaltsam. Neben den spannende Pflanzen und Blüten im Garten gibt es im Haus interessante Gebrauchsgegenstände aus vergangenen Zeiten zu sehen; so auch ein Gerät zum Rühren von Sorbets, das man mit diversen exotischen Früchten und mühsam heruntergekarrtem Schnee des nächstgelegen Berggipfels hergestellt hat (Piton des Neiges).

Nach diesem Feuerwerk an pflanzlichen und sprachlichen Blüten schlendere ich gemütlich durch den kleinen Ort. Eine lokale Jazzband spielt in einem Hinterhof auf, ich fühle mich ein wenig an die Filmmusik von Fellini erinnert, mit viele Blechanteil, ziemlich schräg. Naja, man kann auch vor Publikum üben, wenn es woanders nicht geht… lange halte ich das aber nicht durch. Ich gehe zurück zu meinem Auto und fahre weiter.

Der Flug nach La Reunion ist lang. Laaaaang. Der Sonnenaufgang über Afrika ist spektakulär, ich kann mich gar nicht satt sehen an diesen tollen Farben und mit meinem Handy gelingt mir immerhin ein brauchbares Foto. Dann fliegt man über das Meer, wieder laaaaang. Wolken und Meer. Mehr Wolken, dann wieder weniger. Jedenfalls ganz viel Meer. Und als der Flieger endlich zum Landen ansetzt, sehe ich noch mehr Meer. Ich stelle ich mich innerlich schon auf eine Wasserung ein. Wirklich in letzter Minute taucht die rettende Landebahn auf. Finde ich zwar gut, aber so ein kleiner Inselrundflug davor, wär schon hübsch gewesen. Hatte mich schon so darauf gefreut – die Insel von oben zu sehen. War wohl umsonst.

Der Flughafen ist winzig, und ein bißchen so, wie die auf den griechischen Inseln. Alles ein bißerl improvisiert, in Bau befindlich, etwas vernachlässigt. Ich warte zunächst beim falschen Gepäcksband, ein innerlicher Instinkt sagt mir aber, dass mehr Menschen mit mir mitgekommen sein müßten als hier stehen. Wo sind die alle? Ich mache mich mit meinem Wagerl auf die Suche und finde bald eine beachtlich große Menschentraube. Dicht gedrängt und unmittelbar am Gepäckband, stehen sie alle in der ersten Reihe – und eindeutig VOR der gelben Linie, so als wollten sie alle auf dem Band mitfahren.

Das ist ärgerlich. Denn ich sehe nur Menschen und keine Koffer. Mit meinem Wagerl plus Handgepäck kann ich nicht so nahe ranfahren. Dieses unbeaufsichtigt hinten stehen zu lassen, erscheint mir jedoch nicht als ratsame Alternative. Ich luge zwischen Armen, Beinen, Rümpfen und Köpfen hindurch und erspähe vereinzelt Teile von verschiedenfarbigen Gepäcksstücken. Es kommt mir ein bißchen vor, wie bei Dalli Klick – wer das noch kennt. Man muß anhand winzig kleiner Ausschnitte das ganze Bild erkennen. Mein Koffer hat es aber scheinbar nicht eilig, und als er dann endlich einfährt, sind viele der Wartenden schon weg.

Erstaunlich viele ältere Menschen, die sichtlich wanderfroh sind, reisen in diese Gefielde. Schon im Flieger mit Wanderschuhen, wetterfestem Anorak und Rucksack unterwegs, sprachlich gesehen hauptsächlich Gallien und dem Schweizerland zuzuordnen. Und interessanterweise auch ein paar gleichgeschlechtliche Paare. Ich bin auf jeden Fall die einzige, die hier ganz allein anreist. Noch dazu aus Wien.

Nächste Aufgabe: Auto abholen; die Kleinheit des Flughafens macht es leicht, die richtige Stelle zu finden, nur waren leider die Leute, deren Koffer schon früher ins Ziel eingefahren ist, schon vor mir da. Ich warte eine halbe Ewigkeit, die lassen sich Zeit, hier, wir sind ja im Süden…

Als ich schlußendlich alles ausgefüllt, unterschrieben und unter den vielen, ausnahmslos weißen (und ein paar wenigen silbernen) Fahrzeugen das passende gefunden habe, fällt mir ein kleiner Stein vom Herzen. Ich ziehe – endlich ! – mein im Handgepäck mitgebrachtes Sommergewand an, ich bin nämlich einem Kreislaufkollaps nicht unnah. Es ist 12:00 Mittag und es hat fast 30 Grad. Juhuu, Sommer… Uffffffffff.

Und dann wird es wieder stressig. Ich montiere mein extra neu gekauftes, frisch mit Afrika-Karte (inkl. La Reunion) beladenes Navi, aber es kennt sich nicht aus. Ein blauer Pfeil auf weißem Grund. Na super. So g’scheit bin ich auch. Ich versuche es mit dem Handy, doch leider: kein Internet. Hier bin ich nun endlich 🙂 im heißen (weißen Navi-) Nirvana und weiß nicht, wohin ich fahren muß. Mein Vermieter hat gebeten, ihn anzurufen, wenn ich da bin – leider habe ich mir aber die Nummer nicht notiert, steht ja eh im Airbnb Verlauf… super – kein Netz, kein Net, keine Nummer.

Noch bevor ich anfangen kann, irgendeine Art von Verzweiflung zu entwickeln, läutet mein Telefon. Es ist Jano, mein Vermieter. Wo ich denn so lange bleibe? Herzlich willkommen, aber es gibt ein Problem, er muß nämlich eigentlich schon wieder weg. Ob ich eh weiß, wie ich fahren muß… ? Nein, aber ich hoffe es ist ausgeschildert, weil mein Navi geht nicht!! Also, ich soll mich doch bitte beeilen, er beschreibt mir den Weg – auf französisch natürlich 🙁 …und wir wollen uns bei einer bestimmten Ausfahrt treffen. Na gut, ich fahr halt mal los.

Ein geistiger Blick auf meine innere Landkarte sagt mir, dass ich himmelsrichtungsmäßig nach links muß, das wäre geographisch sinnvoll. Dieser Geistesblitz führt mich zunächst aber nur in eine Sackgasse. Besser, wäre es vielleicht doch, zuerst mal eine größere Straße zu suchen.

Der Verkehr in der Hauptstadt Saint Denis ist jedenfalls auch kein „Lercherlschas“, wie man so schön sagt, bei uns in Wien. Aber ich hab’s ja eh nur – ein bißerl – eilig und kenn mich dafür – gar nicht – aus. Ich versichere mich mit einem Anruf bei Jano, dass St. Paul die richtige Richtung ist ? „…ja passt, immer nur rechts halten.“ In einem der zahlreichen Kreisverkehre halte ich mich ganz weit rechts und finde mich flugs auf einer vom Rest der Straße baulich mit Beton abgetrennten Busspur wieder. Schön langsam komme ich mir vor, wie einer dieser Helden aus den „Spaßvogel“ oder „Tollpatsch“ Filmen, die aber auch gar kein Fettnäpfchen auslassen.

Die Busspur vereint sich nach etwa einem halben Kilometer wieder mit dem Rest der Straße, (danke vielmals!!! zurück kann man da nämlich auch nicht mehr) ich fahre auf die Autobahn und lege mal ein wenig Zahn zu.

Nun geht alles sehr schnell: besagte, vorher vereinbarte Ausfahrt ist ebenso leicht gefunden wie meine Kontaktperson und kurz darauf sehe ich mich schon hurtigst einem Motorrad folgen. Jetzt aber eher wie in einem James Bond Film, zunächst auf der Autobahn, dann steil bergauf, durch eine beträchtliche Anzahl von Kehren, Haarnadelkurven und über plötzlich auftauchende, relativ hohe Schwellen. Also, eines darf man in diesem Land sicher gar nicht haben: Angst vor Bergfahrten! Ich bin ja von diversen Italien Urlauben, bezüglich enger Gäßchen und speziell meinem Elba Aufenthalt bezüglich enger und steiler Bergstraßen einiges gewöhnt, aber das toppt eindeutig alles. Eine plötzliche spitze Linkskurve führt unerwartet in eine gänzlich unbefestigte Straße, mit bemerkenswerten Schlaglöchern in hübscher roter Erde. Dann geht es nach rechts und steil bergab. Ich weiß nicht, aber ich glaube, dieser Steigungsgrad wäre in Österreich straßenbaulich nicht genehmigt. Ich wünsche mir augenblicklich ein Kettenfahrzeug.

Zu meiner Erleichterung sind wir bald darauf da, ich werde in meinen Parkpatz eingewiesen und steige mit großer Freude aus. Ich habe wirklich Glück, das Haus ist ein Traum, die Aussicht auf’s Meer fantastisch, es ist ein Sandwich für mich vorbereitet und ein Bier eingekühlt: Le Dodo e la! So heißt das Bier nämlich hier. Dodo. Schön. Exotisch. Cool. Nach dieser kleinen, sehr willkommenen Erfrischung schleppe ich mich und mein Gepäck in mein Zimmer und will nur noch eines: In Ruhe und bequem ausgestreckter Lage schlafen.

Was macht eine Taxifahrt gemütlich? Ein gutes, bequemes Auto und ein netter Fahrer. Was macht eine Taxifahrt unvergesslich? Dieser Fahrer. Ein besonders netter. Gemütlich war’s allerdings nur eingeschränkt.

Ich erzähle ihm von dem Herrn, der sich als Taxifahrer angeboten hat, „Mr. Pseudo UBER“ und er meint, ich hätte einen guten Instinkt gehabt. Es gibt in Paris falsche Taxis, die zocken einen total ab. Wer meine Reisegeschichte aus Russland kennt, weiß, das abgezockt werden eher meine geringere Sorge ist. Taxifahren in St. Petersburg mit Unbekannten ist nämlich lebensgefährlich. Zum Glück sind wir aber in Paris und zum Glück hab ich diesen netten Fahrer erwischt. Ob ich internet will, er kann das für mich einschalten, gratis – wenn ich möchte. Ja, klar, gerne. Ich krame all mein eingerostetes Französisch hervor und sage mindestens 10x „si“ statt „oui“, aber immerhin verbessere ich mich gleich, nach dem es rausgerutscht ist. Zu viel in Italien gewesen und in spanischen Gefielden in den letzten Jahren. Naja, zumindest wenig in französischen. Immerhin habe ich einst in Französisch maturiert, Camus und Sartre gelesen. Schwarze Rollis fand ich auch immer tres chic.

Es hätte ein entspanntes, lockeres Gespräch sein können, wenn nicht dieser blöde Stau gewesen, und ich auf Nadeln gessesen wäre. An diesem Abend wollte ich nämlich wirklich nicht in Paris übernachten. Ich verfluchte mich noch mal innerlich ob meiner Naivität bzw. Unachtsamkeit bei meiner Flugbuchung und ergab mich meinem Schicksal. Entweder es geht sich aus oder nicht. Basta.

Irgendwie kommt unser Gespräch dann auf die Musik – mir war aufgefallen, dass er einen Sender laufen hatte, der Jazz spielt – Freude. Ich erzähle ihm von meinen Gesangskursen im sommerlichen Italien und davon, dass ich Jazz Sängerin bin und in La Reunion ein Konzert singen werde. Er fragt mich nach meinem Namen und googelt. Das geht im Stau recht gut, so ganz nebenbei.

Als er mich und meine Musik auf youtube gefunden hat, läßt er sie im Fahrzeug laut laufen, ich finde das cool, im Taxi, irgendwo in Paris ich als Fahrgast mit meiner Musik aus dem Lautsprecher… Nach einer kleinen Weile dreht er plötzlich das Licht auf, kramt ein Büchlein hervor und sagt feierlich: „Ich bin ganz aufgeregt, Sie hier bei mir zu haben, Madame, darf ich Sie um ein Autogramm bitten?“ LOL…, ich glaub’, ich werd‘ nicht mehr!

Ich kritzle eine Widmung in das Buch und ich scherze, „…wenn Sie mir einen guten Preis machen, schicke ich Ihnen eine CD von mir“. Von CDG nach Orly ist es nämlich nicht nur eine weite Strecke, sondern (im Taxi) auch sauteuer. Etwa eine Stunde vor der geplanten Abflugzeit erreichten wir dann schließlich unser Ziel. Er macht mir wirklich einen guten Preis und schreibt mir noch seine Kontaktadresse auf: „…wenn Sie einmal ein Konzert in Paris singen, rufen Sie mich an, ich chauffiere Sie gratis!“ Ich finde das voll süß!

Ich hüpfe aus dem Wagen und suche mein Abfluggate bzw. die Gepäcksaufgabe für meinen Flug. Am Schalter herrscht gähnende Leere, ein Security Mann sagt mir zwei Mal, „Sorry Lady, die Gepäcksaufgabe ist schon abgeschlossen, da geht jetzt nichts mehr.“

Das darf  jetzt aber echt nicht wahr sein!! Ich ignoriere ihn geflissentlich, galoppiere an ihm vorbei und habe Glück, denn am Schalter sitzen freundliche Menschen. Ein Telefonat, dass da noch eine Lady mit Gepäck sei und ein anschließendes Kopfnicken befreit mich von meinen schlimmsten Befürchtungen. Na also geht doch! Geschafft.

Es ist fast noch eine Stunde bis zum Abflug, aber das Boarding ist schon munter im Gange. Etwas verwundert reihe ich mich in die Schlange der Wartenden ein. Ja klar, bis so ein Riesenvogel anständig und ordentlich mit Menschen und Gepäck befüllt ist, dauert das schon eine Weile.

Pünktlich hebt der Flieger ab, die ersten zwei Stunden sind eher ungemütlich und rumpelig – wie schon auf dem Flug aus Wien nach Paris, denn es gibt ziemliche Turbulenzen. Serviert wird daher auch nichts. Leider. Ich schaue mir einen lustigen Film an, um mich abzulenken. Als ich es beim Blick aus dem Fenster in unmittelbarer Nähe einige Male imposant blitzen sehe, ziehe ich die Blende herunter. Ein bißchen mulmig ist das schon, aber die Stewardessen, haben begonnen, zu sevieren. Immerhin. Wird schon passen.

Nachtrag zum Taxifahrer in Paris: ich hatte mangels besseren Erinnerungsvermögens an meinen französischen Wortschatz in sein Büchlein reingeschrieben „Danke, dass Sie mich in Orly genommen haben“ statt „Danke, dass Sie mich nach Orly mitgenommen haben“ Eine Freundin machte mich darauf aufmerksam, als sie den facebook post sah. Haha, der wird sich das wohl einrahmen… oder auch nicht ?! Vielleicht verbietet ihm dann ja seine Frau, mich bei meinem nächsten Konzert in Paris zu chauffieren…?! OMG

Einen Flug zu buchen ist heute relativ einfach. Suche im internet, nach ein paar clicks hast du die gewünschte Destination an gefälligem Datum und gleich ein Mietauto dazu. Fertig. Ein Reisebüro oder eine Person mit Insiderwissen wäre dennoch die bessere Wahl gewesen. Aber so hab ich dafür mehr zu erzählen… naja. Ich beginne von vorne.
Ich habe mich an einem Sonntag vor meiner viewöchigen Wien-Abstinenz noch ausgiebig kulinarisch von meiner Heimat verabschiedet. In einem echten alt eingessesenen, traditionellen Cafe in der Gumpendorfer Straße, mit Leberknödelsuppe (na servas – mit vier Stück!! – volle Hauptmahlzeit), Mohntorte und einem großen Braunen sollte die gute Erinnerung an mein Zuhause noch für eine Weile aufrecht erhalten werden. Als es zum Zahlen kam (immerhin heiße Eur 8,20), bemerkte ich das definitive und tatsächliche Fehlen meiner Geldbörse. Der Wirt meinte nur: „…des is aber schlecht.“ Mir war das ziemlich peinlich, doch mein Hirn fand auch in dieser Situation rasch eine Lösung: ich hatte noch zwei Schüler zu unterrichten, also würde ich einen, den ich schon länger kenne, um 10 Euro anschnorren und das Geld später vorbeibringen. Funktionierte wunderbar.
Der Wirt bedankte sich überschwänglich, als hätte ich ihm einen Gefallen getan, aber wahrscheinlich war es nur wegen des relativ guten Trinkgeldes. Meine Geldbörse, ach ja, die lag schon fein säuberlich vorbereitet bei meinen Reiseutensilien. Was nimmt man mit für vier Wochen und praktisch JEDES Wetter? In den Bergen kühl, an der Küste heiß…! Auf jeden Fall eine Geldbörse. Das Kofferpacken ging dann relativ rasch von sich, da ich gar keine andere Wahl, sprich: wenig Zeit hatte. Am Flughafen sagte die Kontroll-Waage Koffer: 25 Kilo, also mußten die Ölkreiden, eine Jacke, ein paar Schuhe eine Badetasche und meine geliebten Tusche-Fläschchen wieder raus. Nach erneuter Abwägung (22 Kilo?) durfte das Zeichenmaterial wieder mit. Na dann. Ich hoffe, ich habe Zeit, es zu verwenden.Ich genoß mit meinem Mann noch einen Kaffee am Flughafen, besser gesagt er genoss den Kaffee und passte auf mein Gepäck auf, während ich noch in der Apotheke, im Buchladen und beim Billa Lebensmittel einkaufte… Aber was tut man nicht alles für einen geliebten Menschen?! Meinen Kaffee trank ich dann erkaltet, alleine, da er dann auch schon wieder weg mußte.Die erste schöne Nachricht am Gate war die, dass der Flieger aus Paris noch nicht eingetroffen und daher mit einer Verspätung zu rechnen sei. Zunächst mit 15 Minuten aus der schlußendlich 44 Minuten wurden. Das wäre ja nicht weiter schlimm gewesen, hätte ich nicht in Paris die Aufgabe gehabt, den Flughafen zu wechseln, um den Anschlußflug nach St. Denis, Reunion zu nehmen. Nun muß man wissen, dass es vom Flughafen Charles De Gaulle, wo ich landete, bis nach Orly etwa eine Stunde und 10 Minuten braucht. Und da wäre der hilfreiche Hinweis einer kundigen Person vonnöten gewesen, die mich darauf aufmerksam gemacht hätte, das man sowas NICHT buchen soll, oder dass das in diesem Zeitrahmen zumindest ned leiwand is!!Von nun an war alles Stress pur. Mit ständigem Blick auf die Uhr holte ich mein Gepäck ab, das erfreulicherweise erstaunlich schnell da war, und suchte nach dem Shuttle Bus nach Orly, für den ich in Wien einen Voucher bekommen hatte. Ein freundlicher Hinweis einer Dame führte mich fälschlicherweise ans andere Ende des Flughafens, wo es zwar einen Airport Shuttle gab, aber nicht den nach Orly.

Was man für ungaubliche Kräfte entwickeln kann, merkt man dann, wenn es wirklich vonnöten ist. Mit voller Kraft voraus hirschte ich mit meinen beiden Rollis wieder ans andere Ende des Flughafens, wo man mir nach zwei erfolglosen Auskunftsansuchen versicherte, ja, der Busbahnhof sei hier, genau vis a vis. „Aber der Bus geht nicht, weil die Fahrer sind seit etwa einer Woche im Streik“!!! “Können die mir das nicht in Wien sagen, diese Vollkoffer!!!”  Leichte Verzwiflung setzte ein, doch die Lösung war klar. Und sie kam auch in Form eines freundlichen Mannes, der mich fragte, ob ich ein Taxi brauche. Jaaaaaaa!!! Ich will.

Er schnappte sich meinen großen Koffer und führte mich durch ein paar Aufzüge und Drehtüren zu seinem Wagen: große Limousine in schwarz, jedoch kein Taxi Schild, kein Aufkleber, gar nichts. Er sei von UBER, sagte er, das sei viel billiger. Ich fragte, was die Fahrt kosten solle, .. naja das kommt darauf an… Das war mir jetzt schon nicht geheuer. Ich wollte seine UBER-Linzenz oder irgend etwas in der Art sehen. Mein großer Koffer war schon in seinem Kofferraum. Ah, sie wollen meinen Führerschein sehen? Nein, die Lizenz….! Aha, Sie können gerne ein Foto von meinem Führerschein machen… “Nein danke!”, ich sprintete aus dem Wagen, holte meinen Koffer wieder aus dem Heck und sagte, “Ich nehme mir jetzt ein Taxi! Ein richtiges.” „Oui Madame, pas de probleme…“

Pfffffff… jetzt mal nicht die Nerven verlieren. Ich sah Taxis ankommen, Leute ausladen und fragte zwei von ihnen, ob sie frei wären, aber sie meinten, sie dürften mich nicht mitnehmen… Genau jetzt hätte ich am Liebsten meine Nerven weggeschmissen, wenn ich gekonnt hätte. Ein Instinkt führte mich wieder zurück ins Flughafengebäude, wo ich erkannte, dass die Wegfahrebene mit freien, grün leuchtenden Taxischildern genau eine Ebene unter mir lag. Na dann…

Schlußendlich saß ich endlich in einem offiziellen Taxi auf dem Weg nach Orly. Na geht doch. “Leider, es ist Hauptverkehrzeit, Madame, die Straßen sind ziemlich „beschäftigt“ wie man hier sagt”… Ich sah schon die lange Kette an roten Rücklichtern vor uns auf der Autobahn… Stau!  What shall’s, wie man bei uns sagt – tief durchatmen und ausharren…  ich hatte ohnehin keine Wahl.