Ich sitze auf der Dachterrasse eines sehr edlen Lokals in Stone Town, Zanzibar, Tansania, Afrika. Wieder einmal bin ich der einzige Gast. Um in den Genuß dieses herrlichen Ausblicks über die Dächer der Stadt, das Meer und die untergehende Sonne zu erhaschen, bin ich zahlreiche Stufen hinaufgestiegen. Das hat mich viel Zeit gekostet. Weniger wegen der Zahl der Stufen, sondern wegen der Zahl der Fotos, die ich immer wieder zwischendurch machen mußte. Das ist ein alter Palast, sorgsam mit Liebe und Geschmack renoviert, ein Gebäude aus 1001 Nacht: das Jafari House, Hotel und Spa, mit Restaurant auf dem Dach. Ich nenne es das “Plötzlich Prinzessin-Lokal”. Alles ist in safrangelb, mahagonibraun karmesinrot und gold gehalten, überall gibt es schöne Sessel, Vasen, Statuen, Pflanzen und feinste Holzschnitzereien. Mein Herz hüpft. Meine Haut pickt.
Ich bin gut imprägniert, um 18:00 halte ich nun täglich mein Ganzköpereinsprühritual ab. No Bite mit Deet, es stinkt und klebt und ich hoffe inständig, dass es auch wirklich die bösen Mücken abhält, vor allem die gefährlichen mit der Malaria. Zanzibar ist zwar angeblich seit 2008 malariafrei, aber man weiß ja nie… das Tropeninstitut hat mir das Sprühen empfohlen und die Mitnahme eines Standby Malaria Medikaments. “No na!”, sonst würden sie ja auch nix an mir verdienen. Ich bin jedenfalls gewappnet. Leider hilft diese Mittel nicht gegen Bettwanzen, aber das ist eine andere Geschichte, auch wenn sie hier alsbald ihre Fortsetzung findet.
Ein junger Mann fragt mich in ganz passablem Englisch, was ich denn trinken möchte. Ich frage mich das auch. Am Liebsten einen kühlen Prosecco oder Aperol Sprizz mit ganz vielen Eiswürfeln. Zum Sonnenuntergang. Aber das mit den Eiswürfeln ist nicht so empfehelnswert hier, habe ich gelesen. Wegen dem “flotten Otto” (so hat es eine deutsche Urlauberin genannt, die ich später kennen lernen sollte), dem Durchfall, der oft bei Europäern auftritt, die das afrikanische Wasser, wenngleich auch schon mal durchgefroren, nicht vertragen.
Ich bestelle ein Soda und ein Glas Weißwein. Und einen Snack, Samosas, gefüllte Teigtaschen, die ich schon aus La Reunion kenne. Ich beginne, Notizen in mein Tagebuch zu machen. Der junge Mann will plaudern. Ich bin ja der einzige Gast hier. Fad sonst. Also plaudern wir. Als er mir dann die Samosas bringt, will ich einfach nur mal kauen und nicht mit vollem Mund reden. Ich erbitte mir eine Essenspause. Leicht eingschnappt zieht er von dannen.
Der Weißwein ist schon bald ziemlich uncool. Ich überlege mir, eine Flasche zu bestellen, die könnte man ja mit Eiswürfeln im Kübel kühlen, und den Rest nehm ich mit nach Hause, wenn das geht?! Ich verhandle mit dem Kellner, der dieses Vorhaben (nach vorherigem Nachfragen) für machbar befindet. Er bringt mir die Flasche Wein. Eiswürfel muß er erst noch einkaufen gehen. Echt jetzt…
Ich schreibe in mein Tagebuch. Erst kurz zuvor hatte ich meine Airbnb Vermieterin davon informiert, dass in dem Hotelzimmer, aus dem ich gerade komme, Bettwanzen waren. Zur Sicherheit. Ihre Begeisterung hielt sich in Grenzen. Obwohl, das ist stark untertrieben. Sie erklärte diesen Umstand zum Größt-Anzunehmenden-Unfall, zum Super GAU für jeden Vermieter und machte sich sofort daran, mir einen Kammerjäger vorbeizuschicken. Das wiederum stieß auf wenig Begeisterung meinerseits. In einem frisch vergifteten Zimmer schlafen, das geht doch einfach gar nicht.
Also sitze ich hier oben und grüble. Der Kellner kommt tatsächlich mit einem Kübel voll Eis. Ich bin begeistert. Dann erzählt er mir, er sei “born and raised on Tomato Island”. Zu erwähnen ist, das er ein Bürscherl von etwa 22 Jahren ist und ich in den Fünfzigern angelangt. Ob ich denn nicht Lust hätte, mit ihm morgen nach “Tomato Island” zu reisen..? Haha, wie in 1001 Nacht, ein Märchenerzähler steht vor mir. Ich habe noch nie was von einem “Tomato Island” gehört (als ich das interessehalber zu Hause google, finde ich nur eines in Australien). Dankend lehne ich ab. Er zieht wieder von dannen, diesmal vielleicht noch ein wenig mehr eingeschnappt.
Ich beschließe, mit meiner Flasche Wein nach Hause zu gehen und dort weiter zu grübeln. Dort habe ich auch internet. Das könnte behilflich sein. An der Hotelrezeption werde ich aufgehalten. Ich hätte nicht bezahlt, behauptet man. Was… jetzt? Klar habe ich, sogar 50.000.- TSH. Die Rezeptionistin telefoniert mit dem Tomato Boy, der die Rechnung hinunter bringt. Da steht 56.000.- THS. Gut, dann sollen sie mal leserlich schreiben. Ich bezahle den Rest, Tomato Boy ist beleidigt und schaut mich gar nicht mehr an.
Zu Hause angelangt, geselle ich mich zu meinen Sachen auf dem Balkon. Ich habe auf Anweisung meiner Vermieterin alle bereits ausgepackten Kleidungsstücke wieder eingesammelt, in den Koffer gesteckt und auf dem Balkon deponiert. Ich soll morgen unbedingt gleich Insekten-Spray kaufen und alles einsprühen. Wir chatten online. Leider ist der Kammerjäger nicht auffindbar (hat er sich vielleicht selbst vergiftet? 😉 Das ist eben Zanzibar. Aber sie kann mir die Putzfrau schicken und wir waschen alle meine Sachen… Ich hatte eigentlich andere Pläne für den nächsten Tag. Nämlich eine Stadtführung. Die habe ich sogar schon gebucht. Ich hole mein Päckchen Zigaretten aus dem Rucksack. Das habe ich mir extra für die Reise gekauft, sonst rauche ich nicht oder nur sehr selten. Jetzt verlangen meine Nerven nach Nikotin. Der Rauch soll außerdem helfen, (gefährliche?) Moskitos zu vertreiben.
Nach der ersten (oder zweiten?) Zigarette und einer halben Flasche Wein fasse ich den Beschluß, hier auszuziehen. Schließlich will ich das Getier definitiv los sein und endlich mal wieder biß- und juckfrei leben. Ich buche ein Zimmer im teuersten Hotel der Stadt, in der Annahme, dass es dort mit Sicherheit tierfrei sei. Ich habe außerdem für den kommenden Abend dort ein Rooftop Dinner für mich gebucht, im “Emerson on Hurumzi” ein Highlight in Stone Town, das man/frau nicht versäumen sollte, laut einer Empfehlung einer weitgereisten Kollegin auf facebook. Was mich das jetzt kostet ist mir in diesem Augenblick (fast) egal. Man/frau muß Prioritäten setzen.
Ich schlafe wieder in voller Montur, gänzlich bekleidet, mit Jeans, Socken und Sweater, nur diesmal leider ohne Vorhandensein einer Klimaanlage. Es hat in etwa 30 Grad. Vielleicht auch mehr. Das Mückenschutzmittel verklebt sich mit dem Schweiß auf meiner Haut. Das Moskitonetz scheint dicht zu sein, läßt aber irgendwie kaum Frischluft durch. Das Schlaferlebnis ist mäßig erholsam. Sehnsuchtsvoll erwarte ich den Sonnenaufgang und den Beginn des nächsten Tages.