Kreolisch Reisen 4 | Bäume, Blüten und Bla Bla

Geich vorweg: ich bin nicht in Louisiana, am Mississipi oder in New Orleans… aber dennoch in „kreolischem“ Gebiet, auf einer Insel im Indischen Ozean: La Reunion. Jenseits des Äquators, im südlichsten Teil Frankreichs, daher natürlich auch in einem Teil der EU. Darum bin ich da.

Kreolisch bedeutet, vereinfacht gesagt, eine Mixtur. Aus Europa und „irgendwo in Übersee“: Bevölkerung, Sprache, Kultur, Religion, Essen, alles… Und das kann sehr, sehr spannend sein.

Schuld ist der November. Seit ich mich erinnern kann, habe ich den November immer schon nicht leiden können. Mein absoluter „No Go Monat“: nebelig, kalt, grau, schiach, voll entbehrlich… im Oktober ist es ja manchmal noch schön, zum Beispiel zum Wandern – die bunten Blätter, Nüsse, Trauben und der frische Sturm, all das kann noch was. Die letzten Ausläufer des Sommers lassen grüßen und erfreuen mit allerlei leuchtenden Farben. Und dann: November: der kann gar nix. Außer vielleicht ein Martinigansl. Mit Maroni, wenn man Glück hat; das war’s aber auch schon. Im Dezember gibt es dann wenigstens manchmal ein bißchen Schnee oder zumindest die Vorfreude auf Weihnachten, den Advent, die Kerzen, die hübsche, glitzernde Weihnachtsdeko…

Wie auch immer – ich habe mir für dieses Jahr einen Plan zurecht gelegt, dieser unliebsamen Zeit zu entfliehen und diesen auch in die Tat umgesetzt (was so manche mir mehr oder weniger bekannte Mitmenschen in Erstaunen versetzt hat). Word. Done.

Nun bin ich also hier, nach einer äußerst aufregenden Anreise (siehe Kreolisch Reisen Teil 1 und 2) und ich fasse einmal meine Eindrücke der ersten Woche zusammen:

Es ist mega super, den ganzen Tag ohne Schuhe herum zu laufen. Im Haus und auf der Terrasse. Na gut, das war wohl etwas zu persönlich, empfinde ich aber trotzdem so. Großes Wohlbefinden 🙂 es ist (Früh-) Sommer hier.

Die Insel ist eine riesige Mixtur an… allem. Es kommt mir vor, wie wenn ich zu Hause den Kühlschrank öffne und schaue, was es alles gibt und es mir gelingt, daraus eine wunderbar schmackhafte Mahlzeit zuzubereiten. Hier gibt es ganz viel Verschiedenes. Aufgefallen ist mir das erstmals im Supermarkt während ich an der Kasse wartete: hier stehen so viele Menschen unterschiedlicher Statur, Größe, Hautfarbe, Haarfarbe, ein wahrliches Panoptikum. Und dazu noch das viele „Bunt“: Gewänder, Häuser, Möbel, Pflanzen, unzählige Blüten, der Himmel, spektakuräre Sonnenuntergänge,… einfach super truper farben-froh. Ich mag das. Und das Tolle daran ist, dass diese bunte Mischung hier gut zu funktionieren scheint. Die Menschen haben verschiedene Hautfarben, Herkunft, Ethnien, Religionen – was auch immer – es ist egal!!! Sie leben alle auf dieser winzigen Insel (ca. 60 km lang) im riesigen Indischen Ozean zusammen, fühlen sich, so unterschiedlich sie auch sind, als „Reunionaisen“ und jeder darf das sein, was er ist, was er/sie sein will. Irgendein Zufall früherer Generationen hat sie hierher gewürfelt, und sie sind geblieben. Christen, Moslems, Hindus… du findest hier die unterschiedlichsten Religionen und ihre Kirchen, Moscheen, Tempel dicht an dicht nebeneinander, in voller Toleranz. Paradies eigentlich, finde ich. Bei uns wird es hingegen immer engstirniger, ungustiöser, und … eigentlich gefährlich, fürchte ich.

Aber nicht nur die Menschen und ihr Erscheinungsbild sind mannigfaltig, ebenso und ganz besonders hier ist es die Natur. Man kommt sich vor, wie in einem riesigen Blumengeschäft, wie im Tropenhaus, ja oft sogar wie in „Fairytopia“, im Barbie-Fantasie-Land, das ich früher mit meiner Tochter so gern auf DVD angeschaut habe: es gibt riesige Schlingpflanzen und Farne, Blätter und Blüten aller Formen und Farben, Wälder, Steppen, Berge, Schluchten, Canyons, unzählige Wasserfälle, Strände, Sand und 1000e Arten von Palmen, einen Vulkan… paradiesisch, wirklich – und das alles bei herrlich angenehmen (keinesfalls dem Europäer gewöhnlichen November-) Temperaturen.

Am Anfang war ich völlig überfordert – mit Schauen und Staunen und, was, bitte, soll ich denn da NICHT fotografieren? Allein die Tatsache, dass ich meinen Wagen selbst chauffieren muß, läßt mir weniger Zeit dazu, leider.

Mein erster größerer Ausflug führt mich in den Cirque de Salazie, den größten und am leichtesten zu erreichenden der drei hier vorhandenen, imposanten Bergkessel. Dafür stehe ich auch schon um 5:40 auf – und wer mich kennt, weiß, für mich ist das eine außergewöhnliche Leistung, die wirklich eines besonderen Anlaßes bedarf. In den Reiseführern steht die frühe Anreise expilzit als Empfehlung drin, denn schon im Laufe des Vormittags ziehen Nebel und Wolken auf und verschleiern die Sicht auf das wunderbare Bergpanorama. Als ich dann von der Autobahn abfahre und in das Tal einfahre, bin ich erstmal sprachlos. Ich halte an der Seite und genieße den Ausblick, mache die ersten Fotos. Wie gesagt, die Auswahl ist nicht leicht, … die weitere Fahrt wird immer kurviger und steiler, ich ziehe meinen geistigen Hut vor den Straßenbauern.

Es ist, als ob man die Außenkanten eines gefiederten Blattes entlang führe – die Straße schmiegt sich an den Berg, sie kuschelt sich an das Gelände und paspelt es regelrecht ein. Das erfordert viel Aufmerksamkeit beim Fahren. Ich wünsche mir einen Chauffeur oder einen Sänftenträger, so wie es hier in früheren Zeiten die wohlhabenden Reisenden zu praktizieren pflegten. Dann hätte ich noch mehr Chance auf bewundernde Blicke für meine Umgebung. Ist aber nicht. Kommt davon, wenn man mit sich selbst alleine verreist. Und die Sänftenträger müßten ohnehin alle zwei Kilometer (wegen Erschöpfung) ausgetauscht werden, das will man ja doch niemandem zumuten, nicht mehr heutzutage.

Bewunderung allerdings empfinde ich durchaus für die Busfahrer, die sich hier mit äußerster Präzision durch die Gegend schrauben. Mitfahren möchte ich dann aber lieber doch nicht. Da fühle ich mich in meinem wendigen Kleinwagen schon etwas wohler, vor allem beim Durchfahren eines Überhangs, der fröhlich, quasi mitten durch einen kleinen Wasserfall führt.

Ziel meiner heutigen Ausfahrt ist die kleine Stadt Hell Bourg, ein ehemaliger Kurort mit Thermalquellen, die im vorigen Jahrhundert zunächst leider plötzlich erkaltet und mittlerweile völlig versiegt sind. Außerdem hat ein durch einen Zyklon ausgelöster Erdrutsch die Therme vollkommen zerstört. Aber das Dorf mit seinen bunten Häuschen gehört jetzt immerhin offiziell zum erlesenen Club der schönsten Dörfer Frankreichs.

Viele der zur Zeit des Thermen Booms Ende des 19. Jh. entstandenen kreolischen Häuser wurden renoviert und sind durchaus sehenswert, allen voran natürlich das „Maison Folio“ mit seinem legendären Garten. Ich bin so früh dran, dass sich noch locker ein Kaffee ausgeht, bevor die Führung dort beginnt. In einer kleinen Bäckerei kann ich mich unter all den exotischen Leckereien nicht entscheiden und belasse es dann bei einem Heißgetränk. Maniok-, Mango-, Passionsfrucht-, Kürbis-, Ananas- oder Chayote- Kuchen… ???? Was hätte man denn da nehmen sollen?

Um punkt 9:00 finde ich mich mit zwei Franzosen vor dem Gittertor der „Maison Folio“ ein, doch es ist abgeschlossen; zwar elegant ohne Schloß, nur mit Kette, aber dennoch… wir rätseln. Heute ist der 11.11. – ein Feiertag auf der Insel. Ob deswegen geschlossen ist? Um 9:15 trudelt gemütlich eine Person ein und öffnet die Pforten, jaja, alles gut, es geht jetzt los. Pah, Pünktlichkeit, das nimmt man hier nicht so wörtlich genau.

Diese Dame ist eine Kreolin, wie man sie sich bildlich vorstellt. Mittel bis dunkle Hautfarbe, krauses, braunes Haar, volle Lippen. Hätte sie noch ein Kopftuch und Ohrringe, wäre sie das Klischee pur, aber sie trägt Jeans und und T-Shirt und vor allem ein Mundwerk, das man niemals gegen sich gerichtet haben möchte. In unheimlich zungenfertigen, schnellen und gewandten Sprachmanövern erklärt sie den immer zahlreich werdenden Gästen, den Hausgebrauch: zuerst dort drüben Karten kaufen, und jetzt sofort beginnt die Führung. „Kleiner Monsieur, stellen Sie sich bitte hierhin, und Sie, mit dem großen Rucksack, gehen Sie zwei Schritte nach hinten, und die Dame mit dem Hut kommt jetzt zu mir, …nein, dahin, …ja genau so.“

Sie positioniert ihre Gäste wie in einem Schachspiel und erklärt dann ausführlich alle Pflanzen des Gartens, erzählt von deren Herkunft und Verwendung und gibt allerlei Anekdoten zum Besten. Dass man den Riesenbambus wachsen hören kann, dass man Kampferholz zwar für den Bau von allen möglichen Möbeln, aber niemals für Betten verwenden soll, weil es angeblich impotent macht, dass die Frauen auf der Insel aus Rum-Flaschenverschlüssen (ringförmig) mit Zwirn tolle Vorhänge anfertigten und sich die Männer bereitwillig für die Materiallieferung “opferten”… je mehr Verschlüsse desto größer das Stoffwerk. Der Rum wird hier übrigens nicht nur einfach getrunken, sondern vorher liebevoll „arrangiert“. Er wird nach Belieben mit frisch geschnitten Früchten oder Gewürzen verfeinert: Ingwer, Zitronen, Mangos, Vanille… Man versteht es sehr gut, sich zu arrangieren hier auf der Insel, meint sie.

Dazu gibt es allerlei Riech- und Tastproben (von Curcuma, über verschiedene Holzarten, Bambus, arrangiertem Rum…) Leider verstehe ich nur etwa 40%, mein Französisch ist zu sehr eingerostet bzw. ich kann den verbalen Spitzen nicht schnell genug folgen; es ist dennoch sehr unterhaltsam. Neben den spannende Pflanzen und Blüten im Garten gibt es im Haus interessante Gebrauchsgegenstände aus vergangenen Zeiten zu sehen; so auch ein Gerät zum Rühren von Sorbets, das man mit diversen exotischen Früchten und mühsam heruntergekarrtem Schnee des nächstgelegen Berggipfels hergestellt hat (Piton des Neiges).

Nach diesem Feuerwerk an pflanzlichen und sprachlichen Blüten schlendere ich gemütlich durch den kleinen Ort. Eine lokale Jazzband spielt in einem Hinterhof auf, ich fühle mich ein wenig an die Filmmusik von Fellini erinnert, mit viele Blechanteil, ziemlich schräg. Naja, man kann auch vor Publikum üben, wenn es woanders nicht geht… lange halte ich das aber nicht durch. Ich gehe zurück zu meinem Auto und fahre weiter.