Südafrikanisch Reisen 1 | Don’t stop here… Dangerous Zone
Aankomst. Kapstadt – Hier bin ich nun, am anderen Ende der Welt. Beziehungsweise am unteren Ende der Landkarte, wo die Sonne im Norden steht und die Jahreszeit umgekehrt zu unserer daheim ist. Alles anders. Auch die Leute fahren hier auf der „verkehrten“ Straßenseite, das ist sehr gewöhnungsbedürftig und absolut nicht streßfrei. Aber dazu später.
Den langen Flug habe ich diesmal sogar ein wenig genossen, weil die Landschaft unter mir so faszinierend war. Auf meinem Platz versperrte eine riesige Tragfläche den Großteil der Aussicht, darum habe ich mich immer wieder an einem der wenigen kleinen zugänglichen Fenster stehend aufgehalten, meine Nase daran plattgedrückt und fasziniert nach unten geschaut
Nachdem man das Meer überquert hat, fliegt man einige Stunden über die Wüste. Über orange-sandfarbene Dünen verschieder Art, wundervolle Muster, die ich am Liebsten gleich als Kunstwerk zu Papier bringen würde. Zuerst sternenförmig, dann langgestreckt. Wenn man sich dem Äquator nähert, wird es dann erst richtig spannend. Andere Muster erscheinen, verschiedenartig geformte Flecken und dann riesige, gewundene Flußläufe, die sich wild schlängelnd, wie Schlagadern vom Untergrund abheben. In der Sonne glitzernde Seen, endlose Baumlandschaften. Ich bin fasziniert, inspiriert und speichere das alles im Geiste ab. Erfreulicherweise gibt es dazu ein Glas gekühlten Prosecco. Naja, einen Plastik-Becher halt. Oder zwei.
Das erste, was mir nach der Landung am Flughafen auffällt, sind die Frisuren und der blumige Geruch. Viele sehr schwarze Menschen mit ideenreichen, sehr eigenwilligen Haarkompositionen stehen mehr oder weniger – eher weniger – geschäftig herum. Entweder mit kunstvoll drapiertem Haar oder auch gänzlich ohne. Aber Kopf-Styling ist hier sehr wichtig. Die Herren bei der Passkontrolle scheinen ihre Glatzen besonders sorgfältig poliert zu haben. Möglicherweise mit dem gleichen Mittel, dessen Geruch in der ganzen Ankunftshalle präsent ist und mich an ein cremig-öliges Produkt aus einem Afro Shop erinnert, eine dicke Paste für schwer zu bändigende Haare, die ich mir vor Jahren in meiner Not mit der ständig feuchten Luft in Los Angeles gekauft habe.
Begrüßt werden wir von zahlreichen Flaschen: die Passkontrollore sitzen wie Könige in kleinen Kobeln, die allesamt mit Werbung für hier preisgünstige Alkoholika verziert sind. Ein seltsames Bild. Einer dieser dunkel glänzenden Köpfe blickt stolz und streng auf meinen Pass, als ich endlich drankomme und fragt mich knapp, wie lang ich in Südafrika bleiben will, bevor er einen energischen Stempel hineindrückt. Jetzt sind wir hochoffiziell beglaubigt und wahrhaftig eingereist.
Bei der Autovermietung versteht ein übrigens erstaunlich unoriginell frisierter Mann nicht, warum ich als Ehefrau einen anderen Namen habe als mein Mann, nämlich Reich-Palme und nicht nur Palme. Er grinst und sagt zu meinem Mann, „Why not only your name? You are not strong enough“. Naja, wenn er das meint – wir schmunzeln und machen uns auf den Weg zu unserem Wagen.
Und dann beginnt das eigentliche Abenteuer: als Beifahrerin in einem Wagen mit Gangschaltung auf der linken Straßenseite – mit einem legasthenisch veranlagten Mann, in der Nacht, in Kapstatdt. Na servas. Wir zuckeln ziegenbockartig aus dem Autovermietungsgelände unmittelbar auf eine stark befahrene Autobahn. Schalten mit der linken Hand will erst mal gelernt und geübt sein. Ich bin an eine Szene im Film „Night On Earth“ von Jim Jarmusch erinnert, in der ein alternder, ehemaliger Clown aus Ostdeutschland seinen neuen Job als Taxifahrer in New York antritt und seine Not mit dem Automatik Fahrzeug hat. Dort übernimmt schließlich der Fahrgast das Steuer.
Auf der Autobahn heißt uns eine große, rote Leuchtschrift willkommen: „Don’t Stop on the highway – Dangerous zone“. Nona, freiwillig würden wir das sicher nicht tun. Ich habe aber kaum Zeit, mich über diese Information aufzuregen, denn mein Mann fährt immer so weit links, dass wir entweder am Randstein, an der Leitplanke oder an der Bordsteinkante streifen, oder auch in die Nebenspur hineinragen.
Der Versuch bei der ersten Tankstelle, ein wenig zu verschnaufen und Bier oder Wein einzukaufen scheitert kläglich, man hätte sich ja doch vorher besser informieren sollen. Zigaretten gäbe es genug, aber ich rauche nicht mehr. Also nur Wasser. Und weiter geht es. Ich versuche so gut wie möglich mit Hilfe des Navigationsgerätes anzusagen, wohin wir fahren sollen, der Fahrer ist mit der Bedienung des Fahrzeuges schon reichlich ausgelastet.
Die nächste Ausfahrt links, nein liiiinnksss… dort ist das Links – ich klopfe laut ans Fenster. Wir sind beide völlig entnervt und es bessert sich auch nicht, als ich einmal eine Abfahrt versäume und wir woanders hingeraten.
Die Anwesenheit zahlreicher Polizeifahrzeuge, Security Männern in gelben Leuchtwesten und die gut beleuchteten Straßen erwecken aber doch das Gefühl, halbwegs sicher zu sein, auch wenn immer wieder zahlreiche dunkle Gestalten die Straßen queren oder auf diesen sitzen oder liegen. Eine kleine Steigerung des Fahr-Abenteures gibt es dann noch am Ende der Strecke, als die Straßen sehr kurvig, eng und steil werden. Die Auffahrt zu unserer Einfahrt und das Einparkmanöver hätte ich selbst kaum bei Rechtsverkehr geschafft. Ich schon, aber meine Nerven wahrscheinlich nicht. Es ist 1 Uhr in der Nacht und wir sind heilfroh, dass wir am Ziel sind.
Unser Apartement erfreut uns zunächst mit ein wenig Schimmelgeruch, der aber nach kurzer Durchlüftung zum Glück bald wieder verschwindet. Wir genießen einen herrlichen Ausblick auf das Lichtermeer dieser riesigen Stadt und eine Tasse Rooibos Tee statt einem Glas Wein auf einer lauwarmen, sommerlichen Terrasse. Der Duft von Gangia (wahrscheinlich aus dem Nachbarhaus) umschwebt unsere Nasen und über uns funkelt eindrucksvoll ein prächtiger Sternenhimmel. Aankomst. Kapstadt. Alles ist gut.
Renate Reich, 12. November 2018