Irisch Reisen 2 – Der gemeine Touristenbus
Unser erster Irland-Tag beginnt mit einem geführten Stadt-Spaziergang, wo wir Einiges über die Geschichte dieser Insel erfahren und staunen, wie viel wir nicht wussten – z.B. über die ständigen Kolonialisierungsbemühungen der Briten, die leider ebenso erfolgreich (für die Engländer) wie blutig (hpts. für die Iren) waren. Mitte des 17 Jh. wurde der irische Adel enteignet und das Land unter Oliver Cromwells Gefolgschaft aufgeteilt. Es folgten endlose Bürgerkriege zwischen Katholiken und Protestanten – einer der Gründe für mehrere Massen-Auswanderungswellen, jahrelange Hungersnöte ein anderer: Mitte des 19 Jh. fiel die gesamte Kartoffelernte wegen eines Schädlings aus und die regierenden Briten rückten nichts von den guten Sachen raus, die sie auf ihrer eigenen Insel gehortet hatten.
Oder über die Irisch-Gälische Sprache. So wie der Katholizismus lange Zeit von den britischen Herren unterdrückt, wurde sie in jüngerer Vergangenheit erfolgreich wiederbelebt. Heute gibt es alle offiziellen Auf- und Inschriften sowie alle Durchsagen zuerst auf Gälisch, und dann erst in englischer Sprache. Die Schrift ist dekorativ und hält brav her für alles, was in Zusammenhang mit „Keltischer Kultur“ gebracht werden kann. Akustisch eignet sich diese seltsame Sprache hervorragend für Sätze, die man als Filmregisseur einem Klingonenvolk in den Mund legen würde. Das ist gar nicht böse gemeint. Es klingt für mich einfach völlig außerirdisch.
Und dann: „Oskar Wilde“. Diesen Namen haben wir alle schon mal gehört. Doch dass der äußerst sensible und feinsinnige Schriftsteller und Ästhet (DER Inbegriff eines Dandys) mehrere Jahre wegen „unsittlichen“ Verhaltens bei Zwangsarbeit in einem Gefängnis verbringen mußte (deren Folgen ihn letztendlich umbrachten) war mir neu. Homosexualität war also auch etwas, das in diesem Land lange Zeit unterdrückt und bestraft wurde. Durchaus ein weiterer Auswanderungsgrund für Manche. In unserer Herberge recherchieren wir anschließend im internet und vertiefen unser Wissen über diverse Irland-Themen. Dieser Stadt-Spaziergang hat viele Fragen aufgeworfen. Wir finden das gut und äußerst interessant.
Nachdem wir uns also ein bisschen „irisch eingegroovt“ haben (inklusive mehrerer Pub-Besuche natürlich) planen wir für den nächsten Tag einen Ausflug zu den „Cliffs of Moher“. Ein absolutes Must See! Empfehlung von Freunden und überhaupt allen. Eine Touristentour im Bus bietet sich an. „Ja, warum nicht?“, denken wir. „Um 50 € pro Person einen ganzen Tag lang herumgeführt werden und Interessantes sehen und erfahren“, denken wir, „in eine original irische Landschaft mit viel Grün (plus Schafe), Grau (Stein, Karst, Klippen, Ruinen) und Blau (Meer)! Und mit Mittagessen! Toll!“, denken wir. Großer Fehler.
Wir sind brav früh auf und stapfen zum vereinbarten Treffpunkt. Als wir hinkommen, ist der Bus bereits knallvoll. Erstaunlich, dass auch jetzt, Ende Oktober noch so viele Gäste da sind. Wir verstauen uns, ich halte mich an meinem Cappuccino fest und schon geht es los. Unser Busfahrer stellt sich als John B. vor und schafft es wirklich, die nächsten 45 Minuten durchgehend zu quasseln, ohne kaum einmal Luft zu holen. Ich kriege die Krise – geht das heute den ganzen Tag lang so? Bis 17:30 Uhr ist es noch weit hin… Es ist ja nicht uninteressant, was der Typ sagt, aber er wiederholt sich. Vieles könnte man auch weglassen. Meine Diagnose: notorischer Rededurchfall. Ich habe leider keine Kopfhörer mit. Großer Fehler No2.
Erster Halt: Foto Stop bei einem Castle. 50 Leute quellen aus dem Bus und strömen im Laufschritt zu dem Ding (oder was davon noch übrig ist). Das macht sogleich ein Fotografieren unmöglich, da alles voll ist mit farbenfroh gekleideten Leuten. Wer will die denn auf einem Bild mit nach Hause nehmen? Beim Aufstehen verschütte ich versehentlich den Rest meines Cappuccinos, der sich sogleich fröhlich in Richtung Vordersitz ausbreitet und erfolgreich einen am Boden stehenden Rucksack anpeilt. Da läßt sich nur mehr wenig tun. (Zum Glück ist es nicht meiner). Ich bin jedenfalls die Letzte, die dem Bus entsteigt. Das ist gut so. Ich warte, bis sich alle am Fotografieren und Umrunden des Turmes abgearbeitet haben und mache dann auch ein zwei nette Bilder. Als Erinnerung.
Bald schon geht es weiter. Der Knabe John B. plaudert wieder munter dahin, offensichtlich liebt er es, sich reden zu hören. Als definitiven Beweis seiner Existenz, wahrscheinlich. Im Sinne von: „Ich rede, also bin ich.“ Wir versuchen den Lautsprecher über unserem Sitz auszuschalten. Geht, aber hat kaum einen Effekt. Es dröhnt von rundum zu uns. Obwohl er auch wissenswerte Sachen erzählt, schalten meine Ohren ob der Dauer-Befaselung auf „Aus“. Hin und wieder schnappe ich einen Fetzen auf. Hauptsächlich versuche ich, wegzuhören und die Landschaft zu genießen. Ich muss mir unbedingt Kopfhörer besorgen. Oder nie wieder auf so einer Tour mitfahren.
Den zweiten Programmpunkt – eine Höhlenbesichtigung – lassen wir aus. Ich mag keine Höhlen. Zumindest mag ich nicht drinnen sein. Leider beschränkt sich das Alternativ- Programm auf einen 30 Minuten langen Spaziergang auf einem Parkplatz mit ein wenig Umgebung, leider nur sehr wenig. Immerhin scheint die Sonne. Das Höhlen-Cafe hat auch nicht viel zu bieten: Kaffee, Tee, Säfte, Wasser und lautstarke Abba-Hits. Ein Bierchen wäre uns lieber gewesen, das dämpft bekanntlich die Sinne. Hätten wir gut gebrauchen können. Wir spazieren durch den Souvenirshop und bestaunen Schafe in allen Variationen: als Kuscheltiere, Standfiguren, Polster, Rucksäcke, Taschen, Schlüsselanhänger, Socken, Flaschenöffner, Häferl, Postkarten u.v.m. und erwarten sehnsüchtig die Rückkehr der Höhlenmenschen.
Als wir schließlich bei den berühmten Cliffs ankommen, merken wir schnell, dass wir auch hier nicht ganz alleine sind 😉 Die Ladung unseres Busses ist im Vergleich zum allgemeinen Besucheraufkommen sogar relativ klein. Was soll’s. Wir wussten, dass dies kein Geheimtipp ist, also starten wir bestens motiviert los zu unserem Klippen-Spaziergang. Wenigstens redet da keiner auf uns ein. Nach links oder nach rechts gehen? Das muß man unbedingt schon vorher entscheiden! Die Vor- und-/oder Nachteile hat uns unser Bus-Chauffeur vorab schon ausführlich erläutert, leider waren meine Ohren aber ausgeschaltet. Wir gehen spontan nach links.
Es fühlt sich in etwa so an, wie ein Gang von der S-Bahn zur U3 in Wien Mitte, nur ist hier die Aussicht schöner, die Luft frischer, der Pfad wesentlich enger und ziemlich „gatschig“. Menschenmassenmäßig equal. Links und rechts sind Absperrungen aus Stein errichtet, damit auf der einen Seite die Menschen nicht ins Meer fallen und auf der anderen die Kühe nicht auf die Menschen losgehen können. Die Cliffs sind trotzdem sehenswert und ja, man kann das schon so sagen: sie sind atemberaubend. Allerdings wäre es wahrscheinlich besser gewesen, sich den steil aus dem Meer aufragenden Klippen auf einer Wanderung durch die Landschaft von unten zu nähern, aber das erfahren wir erst später. Als nach 1,5 Stunden brav wieder alle eingesammelt sind, freuen wir uns schon sehr auf den nächsten Programmpunkt: Mittagessen.
Unser erstes Irish Stew! Eine Portion – geteilt natürlich, sonst quasi unleistbar. Naja, reicht ja für uns beide. Das Lokal ist erstaunlich geschmackvoll eingerichtet und bietet sogar speziell vor Ort gebraute Biersorten an. Die Bedienung ist nett und man sitzt an kleinen Tischen, also keinerlei Massenabspeisung. Fein. Freude!! Essen und Bier sind wundervoll, Musik ist entweder nicht vorhanden oder so geschmackvoll und dezent, dass es angenehm ist, sich zu unterhalten. 10 OF 10 POINTS.
Nach dem Mittagessen „droht“ unser Fahrer mehrmals damit, nur mehr kommentarlos Musik zu spielen. Huch! Meine Vorfreude steigert sich. Er redet aber meistens trotzdem. (Im Sinne von: ich rede, also fahre ich… dann kann ich auch nicht so leicht einschlafen!) Als die „nackte“ Musik schlussendlich auf unsere Trommelfelle trifft, schalten wir instinktiv auf Gegenwehr und denken sofort über akustische Grenzkontrollmaßnahmen für unseren Gehörgang nach: nervöses Flötengedudel trifft auf hektisches Dudelsackgepfeife – im Abgang bisweilen gewürzt mit einem hübsch gesungenen, sehr traurig klingenden Lied. Prost! Wo sind bitte die Noise Off-Ohrstöpsel???
Ich konzentriere mich auf die vorbeiziehende Landschaft. Die ist wirklich sehr schön. Überall grüne Hügel, mit weißen, schafförmigen Punkten. Und viel Wasser – im Landesinneren überflutete Feucht-Gebiete, an der Küste viel Stein in interessanten Faltungen und Verwerfungen: Karst. Dahinter gleich das Meer – mit einer mächtigen Brandung! Wir folgen der Küste, wieder in Richtung Galway. Mit einem Mietauto wäre es hier traumhaft schön, die Gegend zu erkunden. Leider fahren die Iren auf der falschen Seite. Das macht es ein wenig mühsam, darum haben wir davon Abstand genommen.
@ Überflutet: einmal noch ergießt sich der gesamte Bus-Inhalt über ein paar karstige Felsformationen an einem Strand, an dem wir nun halten: sehr malerisch, sogar mit einem knallbunt schillernden, mächtigen Regenbogen vor einem grau-schwarzen Himmel ! Man kann von einem zum nächsten Stein hüpfen und tolle Fotos machen. Aber erst, wenn alle wieder im Bus sitzen. Oder ganz knapp davor.