Andalusisch Reisen Teil 1 | Bergdorf Frigiliana
Anflug minus 16 Koffer
Unsere Reise nach Spanien beginnt mit einer seltsamen Ankündigung des Flugkapitäns an Bord unserer Maschine nach Malaga: “Unser Abflug verzögert sich leider noch etwas, da wir 16 Gepäcksstücke wieder ausladen müssen. Einige Personen haben sich entschlossen, die Reise heute nicht anzutreten.” Verwunderung allseits – welche Idioten checken ihr Gepäck ein, um dann doch nicht mitzufliegen??? Ich denke kurz an einen möglichen Defekt des Fliegers, verwerfe den Gedanken aber bald wieder als wenig hilfreich und versuche, ein Wenig zu dösen. Die vergangene Nacht war kurz und nicht besonders schlafintensiv: Ich leide an typischem “Vorfreudeaufregungnichtschlafenkönnenundsichmindestens hundertmalherumwälzen”. AUA schafft es jedenfalls in erstaunlich kurzer Zeit, das Auslade-Problem zu lösen und es geht endlich los.
Nach einiger Zeit flüchtet eine Frau von hinten auf den neben mir freigebliebenen Sitz und berichtet von feucht-fröhlich-nervenden Zuständen in den letzten Reihen. Die Besitzer der 16 wieder ausgeladenen Teile scheinen schon am Flughafen in Wien dermaßen alkoholisiert gewesen zu sein, dass man es wahrscheinlich vorgezogen hat, sie erst gar nicht nicht an Bord zu lassen. Es ist Beginn der Osterferien, eine Restgruppe der unfreiwillig Abtrünnigen befindet sich jetzt grölend im Heck und weigert sich, Maske zu tragen. Es ist immer noch Coronazeit und Maskenpflicht an Bord. Nun gut, der großangelegten Zufuhr von alkoholischen Getränken ist das zugegebenermaßen nicht besonders förderlich. Zum Glück sitzen wir in der Mitte und haben davon bislang nichts mitgekriegt
Ein äußerst gut gelaunter Kapitän zeigt uns den verschneiten Großglockner auf der rechten und die drei Zinnen auf der linken Seite und belohnt uns mit einem spektakuläten Anflug über die Sierra Nevada, hinunter in weitem Bogen über das Meer, wo er lange sehr tief fliegt und ich mir schon Sorgen mache, dass wir bei der nächsten Kurve mit einem Flügel an der Wasseroberfläche kratzen oder dem unmittelbar unter uns dahintuckernden Frachtschiff einen Besuch abstatten würden. Ich freue mich über eine letztendlich meisterhaft geglückte Landung (es gibt sogar Applaus 😉 ebenso wie über die Tatsache, dass mein Handgepäck auch tatsächlich mitgekommen ist. Weil der Flieger so voll war, wurde gebeten, möglichst Alles – kostenlos – einzuchecken: “Bitte das Köfferchen einfach in der Kurve zum Flugzeugeingang abstellen.” Und dann in guter Hoffnung verharren. Ging ja gut – diesmal zumindest.
Weiß ist relativ und kalt ist ziemlich
Ich bin mit meinem Mann unterwegs und unsere erste Station ist eines der typischen romantischen, weißen Bergdöfer Andalusiens. Nur von weiß kann jetzt gerade keine Rede sein: ein Unwetter hat tonnenweise Saharasand über das Meer verfrachtet und alles mit einem leuchtenden Rostrotton überzogen. Überall sieht man Menschen wischen, putzen und kärchern – damit die berühmten Dörfer für die Touristen bald wieder in gewohntem, sattem Weiß erstrahlen können. Die steingepflasterte, steile Hauptstraße des alten Ortskerns von Frigiliana ist für solche Wassermassen nicht ausgelegt, es ist hier dermaßen rutschig, dass man aufpassen muß, sich nicht den Hals zu brechen. Mein Mann kann sich nach einem kleinen Aufsitzer mit der Hand gerade noch abfangen, ich krieche in Zeitlupentempo die Gasse hinunter und schaffe es sogar ohne unerwünschten Bodenkontakt. Zwei Tage lang hört man unentwegt den Kärchermotor laufen. Das nervt. Aber dafür ist der Ausblick großartig: dunkelrote Ziegeldächer, grüne Berge, und dahinter das blaue Meer – man sieht bis zum Küstenort Nerja hinunter. Der Himmel ist strahlend blau, die Sonne scheint, alles traumhaft. Wir sind weit weg vom noch immer wintergrauen Wien und saugen die spanische Frühlingsluft dankbar ein.
Wir wohnen für vier Tage in einer schnuckelig kleinen Altstadtwohnung mit mehreren Zimmerchen, einer Dachterrasse und steilen, engen Treppen – alles mini klein und perfekt, um sich den Kopf anzuhauen. Was uns auch immer wieder mal gelingt. Im Sommer ist das sicher der perfekte Ort, um der spanischen Hitze zu entfliehen, kurz vor Ostern im April jedoch einfach nur saukalt. Die dicken Mauern werden einfach niemals warm, die Fenster sind klein und dafür ausgelegt, möglichst wenig Sonne nach innen zu lassen. Wir reißen alle Fenster und Türen weit auf, doch trotz Sonnenscheins und angenehmer Tagestemperaturen wird es innen einfach nicht warm, und schon gar nicht gemütlich. Wenn die Sonne untergeht, fällt die Kälte gnadenlos ein. Wir schlichten alle Decken, die wir finden können übereinander und schlafen in voller Montur. Ich habe nur einen einzigen (weißen) Sweater mitgebracht. Ein Fehler. Das erste was ich mir in unserem Spanienurlaub kaufe, ist ein Anorak, ohne Ärmel, aber gut gefüttert. Der rettet mir das Leben.
Wir finden unsere “neue Heimat” in einer Tapas Bar der besonderen Art. Schon beim ersten Umherstreifen ist uns diese kleine Oase aufgefallen. Coole Musik, geschmackvolle Einrichtung, ein Platz um sich gemütlich niederzulassen – eine Vinothek mit einer ausgesuchten Jazz-Plattensammlung! Vinyljuwelen stehen in einer kleinen Nische, mein Mann ist vollauf begeistert. Die Besitzerin erzählt, dass ihr Freund DJ ist und die Platten ihm gehören, jetzt gerade ist er in London. Hier fühlen wir uns wohl. Wir kosten uns durch Empanadas, Spargel, Oliven, Öl und diverse Weine und lassen relativ viel Geld da. Aber was soll’s – ein Wohlfühlabend, der sich später noch einmal wiederholen sollte.
Gewagte Fahrmanöver durch enge Gassen
Am nächsten Tag schieben sich schon die ersten Touristengruppen an unserem Frühstücks-Tisch vorbei, folgen einem fähnchenschwenkenden Anführer und fotographieren alles, was sie vor die Linse kriegen: weiße Häuser, Treppen, Pflaster, Fliesen, Balkone, Blumenschmuck,… Wir sitzen in einem kleinen Cafe – vier Tische auf einer mini Terrasse, davor liegt die enge Haupt-Gasse, durch die aller Fuß- und auch Wagen-Verkehr führt. Wir beoachten erstaunliche Fahrmanöver, millimetergenaue Präzisionsarbeit mit glegentlichen Seitenspiegeleinklappungsaktionen. Auch ich mußte am Tag zuvor mit unserem Mietauto durch diese Gasse zu unserem Quartier zufahren und freute mich, dass wir uns für keinen größeren Wagen entschieden hatten. Man fährt quasi mitten durch die kleinen Obst-Geschäfte und Souvenirläden durch, Passanten drücken sich abenteuerlich, abrupt in Hauseingänge oder diverse Nischen, aber irgendwie geht sich letztendlich alles aus.
Wir flüchten nach dem Kaffee gleich mal in höhere Sphären, steigen bergan und freuen uns über den Ausblick. Ein älterer Mann lädt uns in seinen Garten ein und beschenkt uns mit Avokados: er hat so viele, dass er gar nicht weiß, wohin damit. Sie erweisen sich als die köstlichsten, die wir jemals gegessen haben. Wir erklimmen einen Hügel mit noch grandioserer Aussicht, gehen eine Zeitlang entlang einer Wasserleitung mit Blick in eine Schlucht, steigen viele, viele Treppen und freuen uns über die wunderschöne Natur.
Nach vielen Schritten und zurückgelegte Stockwerken (zum Glück informiert uns ja eine App über unsere tolle Leistung! 😉 lassen wir uns auf unserer kleinen Dachterrasse nieder. Diese entpuppt sich als der gemütlichste und wärmste Ort und dort fühlt es sich wirklich an wie Urlaub im Süden. Großartig!