Südafrikanisch Reisen 2 | Der Tafelberg
Aankomst. Kapstadt – Das Zweite, das hier auffällt, nachdem man Quartier bezogen und ein wenig herumspaziert ist, sind die Zäune. Zacken, Stacheln, Spieße oder elektrische Drähte, manchmal eindrucksvoll surrend. „Armed Response“ Schilder findet man fast überall. Wir wohnen in Gardens, einem besseren Viertel mit Einfamilienhäusern, in einer hügeligen, sehr grünen Gegend. Sehr schön, eigentlich. Der Ausblick von unserer Terrasse auf das nächtliche Lichermeer ist beeindruckend. Kapstadt ist riesig. Das war schon beim Anflug eindrucksvoll zu sehen; sehr viele Menschen leben hier.
Manche leben, manche leben gut, manche sehr gut, manche existieren nur. Sehr viele. Und kämpfen täglich um’s Überleben. Wieviele Einwohner die Stadt genau hat, weiß man gar nicht, denn die Zahl der Menschen in den Town Ships, Erbe aus der Zeit der Apartheid, ist unbekannt. Die anderen schützen, was ihnen gehört. Und das müssen sie auch. Lustig ist das für beide Seiten nicht. Aber für die eine Seite ist das Leben vermutlich doch ein bißchen leichter als für die andere.
Auf den Straßen sieht man viele Bettler und komische Gestalten, sehr heruntergekommen. Einige von ihnen tragen gelbe, rosa oder orangene Warnwesten und haben ihr kleines Revier, sie helfen den Autos beim Ein- oder Ausparken, zeigen wo freie Plätze sind, und wann die Straße frei ist zum Losfahren. Dafür gibt man ihnen ein kleines Trinkgeld. Damit haben sie eine sinnvolle Aufgabe. Ist für unsereins manchmal ein bißerl nervig, aber ich finde es dennoch gut und gebe immer ein paar Münzen. Das tut mir nicht weh und bringt ihnen was. Auf der anderen Seite gibt es sehr viele – weniger komische – Gestalten mit gelber oder grüner Sicherheitsweste, die mit Schlagstöcken ausgerüstet und besser angezogen sind. Offiziell angestellte Security Personal für die Straßen der Stadt. Seit der WM 2010 hat sich die Sicherheitslage in Cape Town aufgund ihrer Präsenz massiv verbessert. Die Innenstadt ist jetzt sicher, es spielt sich touristenmäßig auch sehr viel ab, hat die Stadt ja viel zu bieten. In der Nacht soll man allerdings nicht alleine unterwegs sein, und auch nur in bestimmten Vierteln, auf gut beleuchteten Straßen. Anfangs bewegen wir uns extrem vorsichtig, aber mit der Zeit bekommen wir eine bessere Orientierung und ein ganz gutes Gefühl, wohin man gehen kann und wann oder wohin besser nicht.
Ein Ausflug auf den Tafelberg ist unsere erste größere Unternehmung und bei strahlendem Wetter ein absolutes Highlight. Zuerst mit dem Bus, dann weiter mit der Gondelbahn erreicht man in atemberaubend kuzer Zeit schwindelige Höhen. Wir haben Glück, wir sind unter den ersten, die die kreisrunde Gondel (aus der Schweiz importiert, habe ich gelesen) betreten können und suchen uns den schönsten Platz aus. Oder versuchen es zumindest – mein Mann und ich sind uns nicht einig, welcher das ist. Er will nach oben schauen, ich nach unten. Da die Gondel sich schnell füllt, und eine Entscheidung ansteht, gibt er nach. Nett von ihm. Doch sobald sich das Ding in Bewegung setzt, beginnt sich auch das Innere zu drehen: Wir stehen auf einer um 360 Grad rotierenden Plattform. Eine hervorragende Lösung unseres Problems. Wir können nun alles aus allen Perspektiven sehen. Diese Modell sollte man auf das wirkliche Leben übertragen können. Ein vorbildlicher Lösungsansatz, finde ich.
Die Aussicht ist beeindruckend. Der Tafelberg gehört zu den ältesten Gesteinsformationen dieser Erde und so wirkt er auch. Das Gestein ist grau, vielfach verworfen und es erinnert an Elefantenhaut. Überhaupt steht der Tafelberg fest und stur da wie ein uralter Elefant. Mit einem langem, geraden Rücken, auf dem wir gemütlich herumspazieren.
Die V&A- Victoria und Afred Waterfont, benannt nach Königin Victoria und Sohn, Namen der beiden Wasserbecken, ist unser nächstes Ziel. Ein gelungenes Beispiel einer Revitalisierung von einem heruntergekommenen Hafenviertel. Für unseren Geschmack vielleicht etwas zu kommerziell, aber dennoch – a place to be. Very nice. Wunderbar zum Flanieren, Schauen, Shoppen und Genießen. Pulsierendes Leben, viele Touristen und Einheimische, Musiker, die singen, tanzen oder virtuos Balaphon spielen.
Hier verkosten wir erstmals ein Glas Wein und befinden dieses – etwas untertrieben formuliert – für absolut brauchbar. Sauvignon Blanc vom Feinsten, zu einem sehr erschwinglichen Preis. Dazu muß natürlich ein Fischgericht verzehrt werden. Wir schwelgen in Genuß und lassen uns die Sonne ins Gesicht scheinen. Ein etwas kühler Wind vom Meer mindert diesen nur geringfügig. Zu Hause ist es November und in Wien kann man sich jetzt wahrscheinlich maximal den Nebel ins Gesicht schweben lassen. Wenn man das unbedingt wollte.
Auf dem Weg nach Hause decken wir uns mit Lebensmitteln für die ersten paar Tage ein. Ein großer Supermarkt ist schnell gefunden – übrigens ein Spar – und es gibt eine große Auswahl an allem, die Fleischabteilung ist allerdings wesentlich kleiner als bei uns zu Hause. Stört uns nicht. Für diesen Abend auf unserer Terasse wollen wir uns etwas Nettes zum Trinken mitnehmen, eine Flasche Wein oder ein paar Bier, werden aber erst nach Fragen fündig. Bier gibt es hier gar keines und der Wein ist in einem Regal, das mit schwarzen Stoffbahnen verhängt ist. Komisch. Naja, vielleicht soll der Wein versteckt sein und nicht so offensichtlich „verführen“. Wir heben die Verhängung ein wenig an und suchen uns mit sorgfältiger Vorfreude drei hübsche Flaschen mit interessantem Etikett und ebensolchem Inhalt aus, Sauvignon natürlich, Sparkling Brut und Rose. Bei der Kasse zieht die Dame die erste Flasche routinemäßig über den Laser, um sie sofort danach wieder zu stornieren; „Sorry – no alcohol after 6 o’clock.“ Kein Erbarmen. Es ist Sonntag Abend, etwa 19:00. Eine herbe Enttäuschung. Wieder kein chilliger Terassenabend mit Wein.
Draußen fragen wir eine der zahlreichen Securitys, ob es denn irgendwo noch eine Quelle für uns abendliche Genußtrinker gibt – und man sagt uns, „yes, there is a liquor store over there – turn right after the second robot“. Robot ? Muß wohl „Ampel“ heißen, sonst mach es keinen Sinn. Überhaupt, die schwarzen Südafrikaner sind sehr schwer zu verstehen, Britisches Englisch, meist mit rollendem R und oft erheblichem Kauderwelsch-Anteil. Wie auch immer, wir finden ein passendes Geschäft, irgendwo auf unserem Heimweg.
Jedoch der zweite Abend auf unserer Terrasse verläuft sehr kurz, da wir unendlich müde sind, von all dem Erlebten. Und glücklich, mit dem was wir haben. Jetzt und hier und vor allem zu Hause, im fernen Österreich. Dass wir in einem Land leben, in dem das tägliche Überleben nicht in Frage steht; auch wenn uns derzeit viel am Klima – meteorologisch und politisch – gar nicht gefällt.
Renate Reich, 16.11. 2018